Appell an die schweigende Mehrheit

■ Diepgen stützt Aufruf gegen Ausländerhaß/ Senat ruft zu Demo am Sonntag auf/ Planung für Großdemo im November

Berlin. Der Senat stellte sich gestern hinter einen Aufruf zu einer Demonstration am Sonntag vor der Gedenkstätte in Sachsenhausen. Dieser Aufruf wurde unter anderen unterzeichet von der Landesregierung und dem Landtag in Brandenburg, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, den Landeskirchen, dem Netzwerk gegen Rassismus und Gewalt und dem Flüchtlingsrat. Diepgen will an der Demonstration auch teilnehmen.

Er steht auch dem Vorhaben einer Großdemonstration in Berlin positiv gegenüber. Über diesen Vorschlag des Fraktionsvorsitzenden der SPD, Ditmar Staffelt, berieten gestern abend die Fraktionsspitzen der im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien. Nach den Vorstellungen der Initiatoren von der SPD sollen am 7. oder 8. November 200.000 Menschen in der Stadt zu dieser Demonstration zusammenkommen. Der Parteivorsitzende der SPD, Björn Engholm, hat sein Kommen bereits zugesagt. Der Sprecher der CDU-Fraktion Markus Kaufmann geht davon aus, daß sicher auch die Bundesspitze der CDU vertreten sein wird. Man wolle eine möglichst breite Basis für die Großdemonstration, allerdings »keine Leute, deren Einstellung zur Gewaltfreiheit nicht eindeutig ist«. Auch die Teilnahme der PDS ist, nach Kaufmanns Einschätzung, schwierig, allerdings sei dies kein Casus belli. Der Sprecher der SPD-Fraktion, Peter Stadtmüller, warnte vor möglichen Ausgrenzungen. Wenn es dazu käme, sei das Projekt gefährdet.

Die gestrige Plenardebatte des Abgeordnetenhauses war »zwei Jahre Einheit Berlins« gewidmet. Doch stand im Zentrum der Reden weniger eine besinnliche Rückschau, sondern vielmehr die Tatsache, daß zumindest die letzte Phase dieser zwei Jahre geprägt war durch »Terror gegen Asylbewerber und dem kriminellen Brandanschlag gegen die Gedenkstätte in Sachsenhausen«. Diese Ereignisse, erklärte der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, »treiben die Schamröte ins Gesicht«. Er verachte feige Brandstifter, die nicht einmal ahnten, welchen Schaden sie ihren Mitbürgern zufügten. Diepgen forderte, wie auch der Fraktionsvorsitzende der SPD, Ditmar Staffelt, daß der Rechtsstaat sich mit allen Mitteln wehren müsse. Staffelt erklärte, er sei nicht bereit, sich »den Staat kaputtmachen zu lassen«.

Diepgen zählte eine Reihe von Ursachen für die Gewalttaten auf, darunter die verordnete Völkerfreundschaft und die Abschottung von der Welt in der Ex-DDR, sowie fehlende Lehr- und Arbeitsplätze, doch sei dies keine Rechtfertigung, »weder für die Täter noch für die Zuschauer«. Diepgen ging, bei einem CDU-Spitzenpolitiker in diesen Tagen bereits eine bemerkenswerte weil seltene Tatsache, mit keinem Wort auf die Änderung des Asylrechts ein. Statt dessen richtete er an sein Wählerklientel den Appell, daß »wirklich der Zeitpunkt gekommen ist, daß die schweigende Mehrheit jetzt Stellung bezieht«. Er unterstütze den Aufruf: Nein zur Gewalt, nein zu Ausländerhaß. dr