„Bei uns wird nicht diskutiert“

Im rheinland-pfälzischen Kreis Bernkastel-Wittlich, idyllisch zwischen Mosel, Eifel und Hunsrück gelegen, regt sich der lokale Widerstand gegen drei geplante Ferienpark-Großprojekte  ■ Von Edith Kresta

Vier nebeneinanderliegende Abteile im Morgenzug von Köln nach Saarbrücken hat der Kegelklub aus Duisburg okkupiert. Dosenbier und Frikadellen machen die Runde. „Ich bin verliebt in die Liebe“ schallt aus dem riesigen tragbaren Kassettendeck und heizt die Stimmung an. Der Zug schlängelt sich entlang der Mosel. Romantik pur: mittelalterlich anmutende Städtchen, herausgeputzte Fachwerkhäuser mit Schnitzereien und Ornamenten, sattes Grün und links und rechts der engen Talstrecke Weinberge, die sich zur Herbstzeit leuchtend verfärben. Endstation der feucht-fröhlichen Runde ist Wittlich. Von der Kreisstadt, zwischen Mosel, Eifel und Hunsrück gelegen, fahren die passionierten Kegler mit dem Bus weiter in die Moselgemeinde Bernkastel-Kues. Dort ist dann statt Bier Wein angesagt. Ab September können die englischen, niederländischen und schwäbischen Touristen „Mosel und Fröhlichkeit“, zwei untrennbare Begriffe, wie der Prospekt verspricht, auf den unzähligen Wein- und Straßenfesten genießen. Im Herbst hat die strukturschwache Region touristische Hochkonjunktur. Und den Tourismus als zusätzliches Standbein braucht sie dringend.

Der Moselwein — einstmals nur als Riesling gezogen — ist mit dem Anbau von Müller-Thurgau in den flachen Lagen zum billigen Massenwein degeneriert, und die EG- Konkurrenz verschärfte die Marktchancen der Moselaner Winzer. Viele gaben auf. Qualität statt Quantität, Rückkehr zum aufwendigeren in den Schieferhanglagen produzierten Riesling, raten die Experten.

Qualität statt Quantität fordern auch Umweltschützer und Bürgerinitiativen im Kreis Bernkastel- Wittlich für die touristische Entwicklung der Region. Denn gleich drei touristische Massenprojekte mit einem Konzept aus der Retorte werden in diesem landschaftlich reizvollen und vielfältigen Kreis geplant: Ferienparks für 3.000 Gäste mit überdachtem wetterunabhängigem tropischem Erlebnisbad, Bummel- und Vergnügungsmeile mit allen facilities von Tennis bis Schönheitssalon, von der Boutique bis zur Pizzeria. Geballte Spaßangebote. Daß diese so dicht beieinander liegen, scheint die Betreiber nicht zu stören. Das Gebiet hat andere Vorteile: Es ist sowohl von der Rhein-Main-Region als auch vom Ruhrgebiet, von Holland und Belgien in kürzester Zeit erreichbar. Ein dichtes Autobahnnetz, das durch den Bau der A60 noch verdichtet werden soll, erleichtert die Anfahrt der städtischen Massen in die ländliche Idylle.

Am weitesten gediehen ist die langwierige behördliche Genehmigungsprozedur für den Bau in der Verbandsgemeinde Zeltingen- Rachting an der Mosel. Das auserwählte etwa sechzig Hektar große Gebiet am Ortsrand von Zeltingen erstreckt sich bis zu den Höhen der Moselberge. Vorbeikommende pflücken taschenweise Äpfel und Pflaumen von den schwerbehangenen Bäumen in dem sich selbst überlassenen Gebiet. Schon seit den achtziger Jahren tobt der Kampf um das Gelände. Die Investorenfirma Gran Dorado, eine GmbH, an der unter anderem der Philips-Konzern beteiligt ist, hat das Gelände längst aufgekauft. Der Bebauungsplan wurde bereits von der unteren Raumbehörde der Kreisverwaltung genehmigt. Dagegen hat die Bürgerinitiative eine einstweilige Verfügung bewirkt, wegen Ausfertigungsfehlern und Bau im Landschaftsschutzgebiet.

Dort, wo Edgar Reitz seiner „Heimat“ ein cinematographisches Denkmal setzte, in der Einheitsgemeinde Morbach, etwa zwanzig Autominuten von Zeltingen entfernt, sollen sich auf über achtzig Hektar dreitausend Touristen tummeln. Gut sichtbar den umliegenden Gemeinden mit einigen hundert Einwohnern präsentiert. Die Firma Center Parcs, Vorreiterin auf dem Markt der tropischen Kurzferienoasen, will diesen Landstrich im Hunsrück direkt neben der Ruine Baldenau einverleiben. Obwohl die Firma damit wirbt, touristisch unattraktive Gegenden zu bereichern, streitet sie seit Jahren um das landschaftlich reizvolle Gebiet. Das raumplanerische Verfahren wurde inzwischen eingeleitet.

So weit ist auch der verwaltungsbürokratische Stand beim dritten im Bunde der touristischen Großinvestoren im Kreisgebiet. Die Firma Sun Parcs hat sich eine Hügelkuppel in der Eifel in der Verbandsgemeinde Manderscheid auserkoren. Wo sich heute noch der Kreuzweg durch Wiesen und Felder zum Kloster hinaufschlängelt, fürchten die Umweltschützer und Gegner des Projekts morgen schon das Kreuz mit dem Verkehrsaufkommen von anvisierten dreitausend Gästen. Über sechzig Hektar Land in bester Lage, von allen Seiten gut einsehbar, soll dem Unternehmen in dieser Region der reichbewaldeten Vulkaneifel verkauft werden. Gleich unterhalb des Großprojektes liegt das Naturschutzgebiet Liesertal mit der Manderscheider Burg; in unmittelbarer Nähe: Maare, Bergkraterseen, Reste alter Vulkankegel und andere geologische Besonderheiten.

„Natur, wohin man schaut, Urlaub für alle Jahreszeiten“, wirbt die Verbandsgemeinde Manderscheid in ihrem Prospekt. Der Kurort muß sich über mangelnden Tourismus nicht beklagen. Die Saison ist ganzjährig. Auch vom touristischen Angebot hat die Gemeinde einiges zu bieten: Angeln, Boccia, Drachenfliegen, Schwimmen, Reiten, Töpfern, Kegeln und natürlich Wandern. Eine vielseitige Palette, wie es eine Studie (1988) der Prognos AG Basel zur Förderung des Tourismus für die Region empfiehlt.

Die Studie regt auch zur Teilnahme der ländlichen Bevölkerung an der Entwicklung an. Bei einem Ferienpark wäre diese allenfalls Zaungast. Auch zur massentouristischen Erschließung gibt die Studie ein eindeutiges Votum ab: „Unüberlegtes und forciertes Vorantreiben des Fremdenverkehrs, weil man glaubt, hier sei noch mehr rauszuholen, wird der Natur als dem Grundkapital des Fremdenverkehrs nur schaden.“ Zur großen Überraschung der Parkgegner von Manderscheid argumentiert der dortige Bürgermeister Densborn ausgerechnet mit den Ergebnissen der Prognos-Studie für die Errichtung des Ferienparks.

Lokale Mafia gegen einsichtige Argumente

Das Grundkapital Natur sehen die Parkgegner massiv bedroht. Ihre Argumente von Morbach bis Manderscheid: Zerstörung einer intakten Landschaft in einem der schönsten Naturgebiete Mitteleuropas; die Zerstörung von Biotopen; die umweltbelastenden Folgen des Autoverkehrs durch das Massengeschäft; der steigende Energieverbrauch; die Entsorgungsprobleme; und die Probleme der Wasserversorgung. Aufgrund des nitratverseuchten unbrauchbaren Wassers der Mosel ist die Versorgung der Region mit Wasser ohnehin angespannt. Der Bürgermeister von Morbach, Lieser (CDU), hat inzwischen eine Wasserstudie in Auftrag gegeben. An ein CDU- Kreistagsmitglied, das, so ein Vertreter der Bürgerinitiative Morbach, „zur lokalen Mafia der Parkbefürworter gehört“.

Von seinem kleinen Büro im Privathaus blickt Bürgermeister Ehses von Zeltingen auf Mosel und Weinberge. Die enge Moselstraße führt direkt an seinem Haus vorbei. Am Straßenrand bieten Winzer ihre Weine an. Zur Hochzeit des Moseltourismus im Herbst Fortsetzung nächste Seite

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ist die Verkehrsbelästigung enorm. Mit dem Parkgelände auf Gemeindegebiet würde der Verkehr ganzjährig auf Hochtouren laufen. Bürgermeister Ehses ist sich der lärmenden Perspektive bewußt. Dennoch gehört er zu den Befürwortern des Parks. In allen drei Gemeinden ist eine überwältigende Mehrheit der Räte für den Bau.

„Die Gemeindevertreter versprechen sich“, so Ehses, „eine Belebung des lokalen Fremdenverkehrs, Aufschwung des lokalen Gewerbes vom Bau bis zu den Metzgereien und Arbeitsplätze für die Gemeinden, denen der Nachwuchs wegläuft“. „Putzjobs als Nebenverdienst für Hausfrauen gibt es schon jetzt genug, deshalb bleibt keiner hier“, kontert Ernst Bäumler von der BI Zeltingen das Arbeitsplatzargument. Die Anbieter hätten nur wenige qualifizierte Arbeitsplätze zu bieten. Die besserbezahlten Chargen brächten sie ohnehin mit. Was tatsächlich an Geld in der Region hängenbleibt, ist ungewiß. Selbst über die Einnahmen aus Erwerbssteuer, Grundsteuer und Lohnsteuer gibt es keine Zahlen. „Nichts Genaues weiß man nicht“, gibt auch Ehses zu. „Sicherlich bleibt ein Gewinn in den Gemeinden hängen“, sagen Projektgegner wie Wolfgang Moritz vom Bund Manderscheid. Doch den Traum vom schnellen Geld zweifeln sie an: „Die Erwerbssteuer können die Anleger durch die hohen Investitionen für Jahre abschreiben.“ Darüber hinaus seien die verwickelten Firmenstrukturen der Konzerne, alle mit Sitz in Belgien oder Holland, die ideale Grundlage für Gewinnverschiebungen. Hinzu kämen hohe Kosten für die Gemeinden, insbesondere für Straßenbau und Kläranlagen.

Die Gemeindepolitiker sind nicht zu erschüttern. Sie sind beeindruckt. Auf einer „Kaffeefahrt“ durften sie sich, nebst Gattinnen, in den jeweiligen Standorten der Betreiber in Holland und Belgien selbst ein Bild von Vorzügen und Leistungen der Ferienoasen machen. Die sinnliche Erfahrung hat die Gemeinderäte in ihrem absoluten Willen zum Großprojekt bestärkt. Walter Stolz hingegen, CDU-Mitglied und Gemeinderat in Pantenburg, das zur Verbandsgemeinde Manderscheid gehört, ist vom einstigen Befürworter zum Gegner des Projekts geworden. Er besitzt ein Grundstück auf dem für den Ferienpark vorgesehenen Gebiet. „Seit ich erlebt habe, wie man mit mir umgeht und wie groß der Park ist, habe ich meine Meinung geändert“, gesteht er. Mit anderen Grundeigentümern gründete er eine Solidargemeinschaft, „um sich von dem Anwalt der Sun Parc, ebenfalls CDU-Mitglied, nicht übers Ohr hauen zu lassen“. Horst Stolz will nun kraft seiner Funktion im Gemeinderat Pantenburg, der Park liegt auf der Gemarkung Pantenburg, die politische Entscheidung beeinflussen. Durch eine Befragung der 180 Stimmberechtigten im Ort. Mit einem Nein der repräsentativen Vertreter der Gemeinde wäre das Projekt gestorben. Horst Stolz wird von Parteifreunden geschnitten. Auch Mitglieder der BI Manderscheid, wie der Rentner Werner Rummenhöller, fielen durch ihre Opposition in dörfliche Ungnade. Werner Rummenhöller, der seinen Ruhestand in der dörflichen Idylle verbringt, wurde als „zugezogenes Nichts“ beschimpft, seine Frau beim Einkauf im Ort nicht mehr gegrüßt. „Inzwischen grüßen sie wieder“, konstatiert er ein noch zaghaftes Umschwenken auf seine Seite.

„Bei uns in der Gemeinde wird nicht diskutiert“, gesteht auch Franz-Josef Frenzer, Mitglied der BI Morbach. Er arbeitet als Meister in der örtlichen Holzfabrik. Sein Vorteil: Er hat schon immer hier gelebt, muß sich dem Vorwurf, ein „Reingeschmeckter“ zu sein, nicht aussetzen. „Die Leute, die über die Zukunft entscheiden, wissen nichts“, weiß Frenzer. Selbst die Studie zu Ferienparks der zweiten Generation, herausgegeben vom Umweltministerium, findet in der Gemeinde kein Gehör, wenn sie überhaupt jemals zur Kenntnis genommen wurde. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß solche Großprojekte nur für landschaftlich wenig attraktive Gebiete sinnvoll sind und abseits dörflicher Gebiete stehen sollten; aber offensichtlich wissen die politischen Verantwortlichen die landschaftlichen und touristischen Reize ihrer Region nicht sonderlich zu würdigen.

Dafür aber die „Modernität“ eines Ferienparks. Die Tropen vor der Haustür, professionelles Management, das mit allen ökologischen Wassern gewaschen ist, und europaweites Marketing bringt der Investor mit. Gegen soviel markterprobte Kompetenz, Kapitalkraft und sinnliche Attraktion kommen inhaltsgeschwängerte Studien nicht an. Es ist zudem aufwendiger, selbst aktiv zu werden, als die Kompetenz für die touristische Entwicklung an einen gewieften Großkonzern abzugeben. Persönliche Eitelkeiten, mangelnde Information und der Hang zu schnellen Lösungen sind oft die Entscheidungsgrundlage der in ihren politischen Belangen so einflußreichen Gemeinden. Nur über das rechtliche verwaltungstechnische Instrumentarium kann ein von der Gemeinde beschlossenes Projekt aufgehalten werden. Wie im Falle des geplanten Center Parc in Bispingen in der Lüneburger Heide, wo sich das rechtliche Verfahren der Parkgegner schon über Jahre hinzieht. Und die Bürger? Genaues weiß man nicht über Center Parcs und Co: der Betriebselektriker träumt von den unbegrenzten neuen Freizeitangeboten, der Winzer hofft auf steigenden Weinverkauf, der Pfarrer auf sich füllende Kirchen, und die Hausfrau sieht Chancen für einen neuen Nebenverdienst, während der Förster ums Biotop fürchtet und der Lehrer den landschaftlichen und kulturellen Ausverkauf wittert.

Jeder Bauer pflegt nur seinen Acker, jede Gemeinde bastelt am eigen touristischen Aufschwung. Integrierte Projekte auf regionaler Ebene wie gemeinsame Fahrradwege, Zusammenarbeit mit der regionalen Landwirtschaft und den Winzern, gestreute Kulturangebote und gemeinsames Marketing der hier vorhandenen touristischen Infrastruktur werden zwar angedacht und in Gutachten empfohlen, aber politisch kaum umgesetzt. Dazu mangelt es auch an der politischen Struktur. Gedacht wird bis zur Gemeindegrenze. Kein Wunder, daß jeder sein eigenes tropisches Erlebnisbad haben möchte. So wird das Dornröschen zwar nicht „sanft“ wachgeküßt, dafür aber voll ins Vergnügen en masse geworfen. Und so manches Dornröschen zwischen Rostock und Freiburg wartet sehnlichst auf den kapitalkräftigen Prinzen.