Eine Biopackung zur Wiedervereinigung

■ Alfred Biolek läßt seinen Bahnhof in Potsdam auferstehen, Fr., ARD, 20.15 Uhr

taz: Herr Biolek, Ihre Kölner Sendung „Bio's Bahnhof“ war eine der erfolgreichsten Unterhaltungssendungen der ARD. Vor zehn Jahren wurde sie eingestellt. Warum beleben Sie „Bio's Bahnhof“ ausgerechnet jetzt in Potsdam wieder?

Alfred Biolek: Wir, mein Team und ich, hatten immer gesagt: Nie wieder einen „Bahnhof“. Und wir hatten damit gemeint: nicht als Serie, nicht am alten Ort. Im Hinterkopf war schon seit langer Zeit die Idee eines Specials gewesen. Doch nur unter zwei Voraussetzungen: Es mußte einen besonderen Anlaß geben, und es mußte ein fantastischer neuer Ort gefunden werden. Als dann Hansjürgen Rosenbauer Intendant des ORB wurde und von dort die Idee kam, zum „Tag der deutschen Einheit“ eine Sondersendung zu machen, und schließlich diese großartige, alte Frabrikhalle zur Diskussion stand, haben wir uns für die einmalige Sendung „Bio's Bahnhof Potsdam“ entschieden.

„Bio's Bahnhof Potsdam“ ist für den ORB sehr wichtig, da der Sender damit erstmalig einen Sendeplatz im Prime-time-Bereich der ARD einnimmt.

Ja, der ORB hat gesagt: Wir haben sowenig Geld, wir können nicht mehrere Unterhaltungssendungen machen, auf die man aufmerksam wird. Also machen wir eine große. Nun produziert der ORB allein diese Sendung.

Was ist für Sie in Potsdam anders als in Köln?

Wenn ich mich als Journalist verstünde, müßte ich natürlich so eine Art „Brennpunkt Wiedervereinigung“ an diesem Tag machen. Da sähe ich Probleme, und davor hätte ich auch große Angst. Mein Team arbeitet zwar in der Vorbereitung mit journalistischen Mitteln. Doch was ich am Ende mache, ist keine journalistische Sendung, sondern mehr eine künstlerische. Ich mache eine große Unterhaltungssendung mit viel Livemusik und vielen Gästen. Das ist mein Anliegen.

Reflektieren Sie den Rechtsruck und die rechtsradikale Gewalt in Deutschland in Ihrem Bahnhof?

Ich muß grundsätzlich sagen, daß ich noch nie mit meinen Sendungen direkt etwas erreichen wollte. Ich habe sicherlich mit meinen Sendungen etwas erreicht, aber nicht, weil es das Motiv oder die Intention war.

Hat öffentlich-rechtliche Fernsehunterhaltung für Sie moralischen Wert?

Ja, kann sie haben. Obwohl das eher selten ist heutzutage.

Streben Sie einen solchen Wert an?

Ja, auch. Und trotzdem darf ein Unterhaltungsmann dies nicht als Motiv und auch nicht als Botschaft und nicht als das, was ihn bewegt, in den Vordergrund stellen. Ich will eine Unterhaltungssendung machen. Ich will keine Botschaft vermitteln. Nur: Ich bin mir darüber im klaren, daß auch oder gerade eine Unterhaltungssendung — weil sie die Menschen mit sehr offenem Visier antrifft — eine sehr große Verantwortung hat. Aber das heißt nicht, daß ich jetzt eine moralische Sendung mache. Nur: Wenn man Unterhaltung macht, muß man auch eine Haltung haben. Eine Haltung, die jeder Künstler haben sollte. Diese Haltung muß sichtbar werden in der Sendung. Da besteht aber ein großer Unterschied zu dieser Haltung der siebziger Jahre, mit der man versucht hat, ideologische Unterhaltung zu machen, politische Inhalte zu transportieren. Das hat aber nicht funktioniert. Mein Begriff von Unterhaltung ist nicht ideologisch, sondern bloß geprägt von meiner persönlichen Haltung. Insofern sind meine Sendungen natürlich moralisch oder ethisch bewertbar.

Angesichts der letzten Monate in Deutschland und dem besonderen Zeitpunkt der Sendung könnte man den Standpunkt vertreten, daß vor etwa fünf bis sechs Millionen ZuschauerInnen ein paar eingeladene PolitikerInnen Haltung zeigen müßten.

Das ist eine sehr naive Sichtweise.

Haben sie PolitikerInnen eingeladen?

Hatten wir. Aber sie haben alle abgesagt. Und selbst wenn sie kommen, ist es naiv zu glauben, daß sie etwas anderes von sich gäben als sonst.

Das hängt vom Moderator ab. Die Bloßstellung von Politikerphrasen wäre eine Errungenschaft, die im deutschen Fernsehen bisher kaum anzutreffen ist.

Das kann aber auch geschehen, ohne daß Politiker in der Sendung sind. Wir werden in „Bio's Bahnhof Potsdam“ Stellung beziehen. Wir werden deutlich sein. Aber unsere Kommentare werden zu einem großen Teil von den Künstlern und anderen Gästen kommen, die wir eingeladen haben. Mein öffentlich- rechtlicher Auftrag ist ja nicht nur ein politischer, sondern auch ein künstlerischer. Und da ist das Konzept von „Bio's Bahnhof“, wo alles live und mit einer ehrlichen künstlerischen Darbietung geschieht, schon ungewöhnlich und ein deutliches Statement.

Nun könnte man Ihre Vorstellung von Fernsehen, dieses Konzept der Live-Auftritte, diese Illusion von Ehrlichkeit in einer digitalisierten Kommunikationswelt antiquiert finden. Ist es da nicht zynisch, ein solches Konzept ausgerechnet im Osten wiederzubeleben?

Ich arbeite ja nebenbei an einer Kunsthochschule für Medien, und schon allein deshalb bin ich ein Befürworter moderner Fernsehmittel. Außerdem bin ich ein begeisterter Seher von MTV. Musik im Fernsehen ist also ein sehr interessantes Thema für mich. Einer der Gründe für das Ende von „Bio's Bahnhof“ vor zehn Jahren war meine Erkenntnis, daß ich mit einem Live-Konzept nicht mehr mit der Entwicklung im Video-Bereich konkurrieren konnte. Trotzdem glaube ich, daß ein Live-Auftritt, bei dem sich der Künstler selbst in Frage stellt durch falschen Gesang, eine schlechte Stimme oder sonst etwas, auch heutzutage noch seine Berechtigung hat. Genau wie es das Live-Konzert immer geben wird. Die Bedingung ist allerdings, daß das Ereignis, die Sendung einmalig ist. Dann erhält auch der einzelne Auftritt etwas Einmaliges, den entscheidenden Touch von Entertainment. Deshalb haben wir uns auch zum einmaligen „Bio's Bahnhof Potsdam“ entschieden.

Haben Sie sich über die Wiedervereinigung gefreut, damals?

Ja, habe ich.

Freuen Sie sich immer noch?

Ja, auch das. Ich denke, daß das Positive überwiegt.

Sie sind doch sicherlich in der Höchststeuergruppe?

Das macht nichts. Alles andere wäre zynisch. Und ich glaube auch, daß sich der Ärger der Bevölkerung nicht über die Mehrabgaben, sondern über die Lügen und die Unfähigkeit der Politiker aufgebaut hat. Interview: Christoph Becker