■ Ökonomische Anti-Krisen-Rezepte für Ostdeutschland
: Lobbyistentöne

Kein Tag vergeht ohne neue Prognosen, Patentrezepte oder Krisenszenarios. Dabei sind sich die professionellen Windmacher in einem Punkt einig: Schuld an dem ökonomischen Desaster in der Ex- DDR sind immer die anderen. Heraus kommt dabei ein Informationsmüll, der die tatsächlichen Chancen und Grenzen der wirtschaftlichen Entwicklung inzwischen völlig verdeckt. Zu einer Entlarvungsspezialistin von hohen Graden hat sich die SPD-Finanzexpertin Matthäus-Maier entwickelt. Täglich neu ereifert sie sich über das Kohl-Versprechen von der schnell erreichbaren blühenden Ostlandschaft. Gewiß, Kohl hat gelogen, doch was hätte eine sozialdemokratische Bundesregierung anders machen können? Mit der Einführung der Währungsunion, die die SPD-Finanzexpertin angesichts der Stimmung in der ehemaligen DDR — „Kommt die DM nicht zu uns, kommen wir zu ihr“ — wohl zu Recht für „völlig unvermeidlich“ gehalten hat, war der Absturz der DDR-Ökonomie vorprogrammiert. Die Geschwindigkeit des Umbaus wurde und wird gewiß durch die verhängnisvolle Eigentumsregelung — Rückgabe vor Entschädigung — gebremst, aber einen anderen Entwicklungspfad eröffnete auch die Umkehrung des bisher gültigen Prinzips nicht. Den millionenfachen Arbeitsplatzabbau hätte man dadurch nicht verhindern können.

Seit 1989 sind im Osten von den ehemals 9,5 Millionen Arbeitsplätzen rund 4,2 Millionen verschwunden. Die Industrieproduktion sank um 70 Prozent, und das Bruttoinlandsprodukt (BIP), also der Wert aller Güter und Dienstleistungen, die von Inländern in den neuen Bundesländern produziert wurden, ging um rund 45 Prozent in den Keller. Warum dieser Einbruch?

Die Antwort ist einfach: weil es nicht genug Leute gab, die bereit waren, den für die DDR-Güter geforderten Preis zu zahlen. Mit dem Wegfall der Mauer hatte jeder Konsument Alternativen. Folglich wurden Westprodukte gekauft, weil das wesentlich bessere Preis-Leistungs-Verhältnis für die Westwaren sprach. Nach außen wirkte die DM-Einführung wie eine 300prozentige Aufwertung. Das bedeutete den Todesstoß für den Außenhandel.

Wenn die Produkte einer Volkswirtschaft schlecht, der Produktionsapparat alt und gebrechlich und infolgedessen die Produktivität der Beschäftigten der Konkurrenz hoffnungslos hinterherhinkt, bleibt nur eines zu tun: Produkte und Produktionsapparat müssen erneuert werden. Das dauert — aber eine Alternative dazu bietet die realwirtschaftliche Welt nicht.

Für die Neuschaffung eines Industriearbeitsplatzes muß man etwa 200.000 DM investieren. Bei vier Millionen Arbeitsplätzen wären 800 Milliarden DM fällig. Nur zur Erinnerung: 1991 wurden im Osten gerade mal 72 Milliarden DM — davon 30 Milliarden DM von privaten Investoren — investiert...

Daß die große Wende nur von der Angebotsseite her kommen kann, zeigen zwei Zahlen. Das im Osten erwirtschaftete Sozialprodukt belief sich 1991 auf 193 Milliarden DM. Nachgefragt — durch den West-Ost- Finanztransfer alimentiert — wurden in der Ex-DDR hingegen Güter im Wert von 361 Milliarden DM. Nur, die ostdeutsche Industrie kann diese Nachfrage derzeit noch nicht befriedigen. Bis es so weit ist— und jetzt kommen die Gewerkschaften ins Spiel — müssen die ostdeutschen Arbeitnehmer sich mit weniger Lohn bescheiden als in den hochproduktiven Westunternehmen gezahlt wird. Wer, wie Franz Steinkühler, darauf pocht, „die Tarifeinkommen bis 1994 auf hundert Prozent West anzugleichen“, zerstört die Überlebensfähigkeit einer ganzen Reihe von Betrieben, es sei denn, er nennt jemanden, der die Löhne subventioniert.

Tatsächlich liegt die Arbeitsproduktivität im Vergleich zum Westen bei nur 30 Prozent. Der geringere Lohn gleicht diesen Nachteil nicht aus. Auch die für den Konkurrenzkampf entscheidenden Stückkosten liegen im Osten in vielen Bereichen höher. Deshalb macht es Sinn, wenn Arbeitnehmer vorübergehend — je nach Branche — auf einen Teil des Lohnes verzichten. Das schafft, anders als der DGB-Landeschef in Sachsen in diesem Blatt schrieb, tatsächlich Arbeitsplätze. Völlig sinnlos wird solcher Verzicht nur dann, wenn sich auf der Angebotsseite nichts tut. Mit unverkäuflichen Produkten kann man auch bei Minimallöhnen nichts verdienen. Walter Jakobs