Neue Zeiten der Stadt

■ Über Frauen und Hektik und was Politikerinnen dagegen tun können

und was Politikerinnen dagegen tun können

Um halb sechs endlich aus dem Büro gekommen, zur Bushaltestelle gerast - Bus ist im Stau steckengeblieben, deshalb mit Taxi zum Kindergarten, der um Punkt sechs schließt -, Kind an der Pforte in Empfang genommen und zum Supermarkt gezerrt, gerade eben noch reingeschlüpft, ellenlange Schlange an der Kasse - zu Hause im Briefkasten eine Mahnung vom Finanzamt wegen der überfälligen Steuererklärung, seit Wochen nicht geschafft, während der Dienstzeiten dort vorzusprechen: Eine kurze Geschichte über die Zeit einer berufstätigen Mutter.

Mit solchen hektischen Zeitstrukturen finden sich italienische Politikerinnen nicht mehr ab. Einige von ihnen berichteten am Freitag in Hamburg auf einem Symposium des Senatsamts für Gleichstellung und der Stadtentwicklungsbehörde von ihren Erfahrungen in Modena und Mailand. Hier laufen seit einigen Jahren kommunale Modellversuche, die die „tempi della citta“ (Zeiten der Stadt) den Menschen anpassen, die Öffnungszeiten von Geschäften, Ämtern und kulturellen Einrichtungen, Zeiten von Kinder- und Altenbetreuung und die Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs mit den Bedürfnissen der BürgerInnen abstimmen.

Modena, eine Stadt mit 140000 Einwohnern, experimentiert seit 1987. Die öffentlichen Betreuungszeiten für 0 bis 3jährige und alte Menschen wurden bereits dahingehend verändert, daß Frauen, die sonst meist die Pflege der Jüngsten und Ältesten übernehmen, mehr Zeit für sich haben. Und alte Menschen so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben können. In Mailand, einer Metropole mit 1,5 Millionen Einwohnern, läuft der Modellversuch seit 1990. Erster Erfolg: Debatten, wie Betriebs- und Schulzeiten so zu koordinieren seien, daß Kinder nicht während des dicksten Berufsverkehrs zur Schule gehen müssen.

Senatorin Traute Müller will mit dem italienisch-deutschen Erfahrungsaustausch die „Zeitkoordination“ auch für Hamburg in die Diskussion bringen. „Das Thema hat spezielle Bedeutung für Frauen“, sagte Müller, eine größere Flexibilität der Öffnungszeiten von Läden und kommunalen Einrichtungen würde den Interessen vieler Frauen entgegenkommen. Und auch die Stadtentwicklung sei angesprochen. Denn durch das Zusammenführen von Wohnen und Arbeiten in den Stadtteilen könnten Entfernungen verringert und besonders im Alltag von Frauen Zeiteinsparungen erreicht werden. Bis zum Anbruch italienischer Verhältnisse wird aber noch viel Wasser die Elbe hinabfließen. Zuerst einmal müßten die Zeitstrukturen der Hansestadt und die Zeitbedürfnisse der HamburgerInnen erforscht werden, schränkte Müller die Erwartungen ein. Vera Stadie