Neuer Berliner Häuserkampf

Das Haus der Kulturen der Welt muß um seinen Bestand fürchten  ■ Von Barbara Häusler

Seit der Entscheidung für Berlin als Regierungssitz und Hauptstadt aller Deutschen buchstabieren sich hier Raum- und Wohnungsnot anders als im übrigen Land. Nicht nur wegen der absurd gestiegenen Mieten. Bisher eher randständige und vernachlässigte Bezirke sehen sich, bezogen auf eine neue, noch imaginäre Stadtmitte, zur City umdefiniert. Und so kommt es, daß sich die solventen Vorboten und Wegbereiter des Booms, von den Miethöhen getäuscht, plötzlich in einem Viertel wohnhaft finden, das sie freiwillig nicht betreten hätten. Mit ängstlicher Scheu huschen sie nun durch ihr eigenes Treppenhaus, hinauf ins ausgebaute Dachgeschoß, das außer ihnen keiner bezahlen kann. Die Verdrängung hat längst begonnen.

Gleichzeitig tobt in Berlin noch ein Häuserkampf ganz anderer Art. Diesmal geht es nicht um die Besetzung leerstehender Gebäude, sondern um die Räumung repräsentativer Bauten zu Regierungszwecken. Die Planungen für das zukünftige Regierungsviertel laufen auf Hochtouren. Das Parlament im Reichstag muß man sich darin als Zentralgestirn denken, dessen Anziehungskraft auf die ihm zugeordneten Planeten außerordentlich hoch angesetzt wurde. Kanzleramt, Bundesrat, Ministerien und der Sitz des Bundespräsidenten müssen demnach auf eine möglichst enge Umlaufbahn gebracht werden. Das zentrale Kriterium der Bonner Campusmentalität heißt nämlich Fußläufigkeit.

In zugegebenermaßen schöner Fußläufigkeit zum Reichstag liegt das Haus der Kulturen der Welt (HdKdW). Die 1988 — auf Initiative und mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes — gegründete Institution residiert in der ehemaligen Kongreßhalle am östlichen Tiergartenrand und dürfte mit ihrem auf die Vermittlung außereuropäischer Kulturen zielenden Programm einzigartig in Deutschland sein. Inzwischen hat sich das HdKdW zu einem vielbesuchten Veranstaltungsort mit internationaler Reputation entwickelt. Voll tönten in seltener Übereinstimmung mit seiner Gründungsidee darum auch bislang die politischen Belobigungen seiner Arbeit. Denn die gängigen Allgemeinplätze kulturpolitischer Sonntagsreden scheinen hier auf wundersame Weise Wirklichkeit werden zu wollen: das HdKdW — ein Forum, das fremde Kulturkreise gegenseitigem Verständnis öffnet; eine multikulturelle Begegnungsstätte; eine Institution für Berlin, die seinen siechen Metropolencharakter wiederbelebt und deutsche Weltoffenheit signalisiert. Das wollten alle. Bis das Problem mit der Fußläufigkeit auftauchte.

Ende vergangener Woche informierte das HdKdW über den gegenwärtigen Frontverlauf im hauptstädtischen Häuserkampf und seine bisherigen Scharmützel: Unmittelbar nach dem Mauerfall hatte der ehemalige Regierende Bürgermeister und heutige Immobilienmakler Walter Momper (SPD) die Kongreßhalle in vorauseilendem Gehorsam dem Bundesrat angedient — vergeblich. Im folgenden begehrte die Reichstagsverwaltung während des Umbaus des Reichstags zum Parlamentssitz (ca. 4 bis 5 Jahre) eine „Mischnutzung“. An der Übernahme der unsäglich verstaubten Historienschau „Fragen an die deutsche Geschichte“ kam das HdKdW gerade noch vorbei; sie wird nun in den rekonstruierten und verwaisten Deutschen Dom am Gendarmenmarkt verschoben.

Doch nun droht der Besucherdienst des Deutschen Bundestages, eine Einrichtung, in der willige Bürger über die Arbeit ihrer Vertreter informiert werden und Abgeordnete ihre Lobbyisten pflegen. Außerdem können in der Kongreßhalle, quasi aus der ersten Reihe, die Bauarbeiten am wiedererstehenden Regierungsviertel bestaunt werden. Demokratie als Hausherr eben: 25 Veranstaltungen von 90minütiger Dauer, täglich von 10 bis 17 Uhr, Büros und Aufenthaltsräume für 11 Mitarbeiter, eine Infothek und gastronomische Betreuung für rund 1500 Tagesbesucher. „Mischnutzung“ ist in diesem Zusammenhang ein dreister Euphemismus, mit dem vermutlich nur die gegenwärtige Pächterin des hausinternen Restaurants zufrieden sein dürfte. Delikaterweise betrieb sie bereits die Reichstagskantine und wäre somit für ihre neue Aufgabe bestens qualifiziert.

Das HdKdW war mit einer dem Anliegen und den Arbeitsbedingungen des Hauses angemessenen Raumüberlassung durchaus einverstanden. Trotz der gegenwärtigen Entwicklung unterstellt seine Leitung, mit hoffentlich nur taktischer Naivität, noch immer keine böse Absicht, sondern lediglich eine Verwechslung von umbautem Raum und tatsächlicher Nutzfläche. Aber: Was als Provisorium angekündigt war, wird jetzt als Dauerlösung angestrebt; den vom Kultursenat avisierten Raumbedarf hat die Bundestagsverwaltung inzwischen auf das gesamte Haus erweitert; den Vorschlag einer alternativen Unterbringung des Besucherdiensts lehnt die zuständige Bundestagsverwaltung strikt ab. Man hat sich eingeschossen auf diesen Ort, auf seine ideale Kombination von Veranstaltungsräumen und gastronomischer Kapazität. Und auf seine Fußläufigkeit zum Reichstagsgebäude.

Für das HdKdW käme die Durchsetzung dieses Konzepts einer Abwicklung gleich. Schon jetzt entstehen durch die fortgesetzte Bedrohung des Standortes entnervende Reibungsverluste für die eigentliche Arbeit. Da der Berliner Senat alleiniger Gesellschafter der als GmbH organisierten Institution ist, hängt ihr Überleben allein von dessen politischen Willen ab. Doch wird die Entscheidung von Bonn offenbar als Präzedenzfall für die Kooperationsbereitschaft des Senats in Sachen Hauptstadtangelegenheiten gewertet. Wer die devote Haltung der Berliner in solchen Situationen kennt, mag kaum glauben, daß ausgerechnet auf dem Gebiet der Kulturpolitik mit Widerstand zu rechnen ist.

Der politische Druck wird noch verschärft von der unerträglichen Niveaulosigkeit, mit der er begründet und durchgesetzt wird. Eigentlich, heißt es plötzlich, sei das Haus doch zu „schade“ für die exklusive Präsentation außereuropäischer Kulturen. In aggressiver Kleinbürgerlichkeit warf man dem HdKdW gar vor, es denke elitär und hege Vorurteile gegen die Besuchergruppen des Deutschen Bundestages. Doch dieser komplexbeladene Verdacht ging formschön nach hinten los: Die Ablehnung des Alternativvorschlags, den Besucherdienst im tagsüber ungenutzten Schauspielhaus am Gendarmenmarkt unterzubringen, wurde schriftlich damit begründet, der Schinkelbau sei zu „edel“, die Gruppen störten sein Ambiente.

Solches Qualitätsbewußtsein zeigt sich auch im Kampf um den Schreibtischsessel. Eine möglicherweise platzsparende Unterbringung der Mitarbeiter des Besucherdienstes in Containerbüros wird für einen rechten Reichstägler als unzumutbar erachtet; daß einige Mitarbeiter des HdKdW seit Jahren in solchen Blechbüchsen arbeiten, erscheint den beamteten deutschen Volksbetreuern offensichtlich nur angemessen: Wer Asylantenkulturen präsentiert, kann offenbar auch im Container sitzen. In keinem der aktuellen Baupläne für das Regierungsviertel ist das HdKdW als solches ausgewiesen; wie auch in den Stadtplänen des Berliner Verkehrsamts ist das Gebäude ausschließlich und beharrlich als Kongreßhalle bezeichnet. Kein Hinweis auf seine neue Funktion. Symbolische Gewalt einer programmatischen Kulturpolitik? Man ist geneigt zu denken, hier solle eine Option offengehalten werden. Die auf Fußläufigkeit, vermutlich.

Die alte Kongreßhalle, gestiftet als Symbol der freien westlichen Welt, ist auch ein Symbol des Kalten Krieges; noch Anfang der sechziger Jahre störten sowjetische MiGs die dort gelegentlich stattfindenden Bundestagssitzungen. Der Bau hat einen trügerischen Appeal, der propagandistisch wunderbar zu nutzen ist, und gerade darum hat der Bundestag und sein Besucherdienst hier nichts zu suchen. Zwar hat die Bundesregierung ein Nutzungsrecht, doch der Stiftungszweck des Hauses sieht einen Ort der Begegnungen und Dialoge von Menschen unterschiedlicher Kulturkreise, Auffassungen und Perspektiven ausdrücklich vor. Der mühsame Prozeß, Fremdes zu verstehen: Welche Chance bietet seine Ansiedlung gerade an diesem Ort! Er bleibt eine notwendige und fruchtbare Konterkarierung der hybriden nationalen Selbstpräsentation, wie sie im geplanten Regierungsviertel zu entstehen droht. Daß der Weltkongreß der Flüchtlingsorganisationen mit dem CSU-Abgeordneten, der seinen aufgeregten Schäfchen die Segnungen einer Asylrechtsänderung erläutert, Tür an Tür tagen soll, ist jedenfalls schlicht undenkbar.

Der Verständigungsprozeß zwischen einander fremden Kulturen hat seine eigene Dauer und braucht seinen eigenen Raum. Diese Zeit und diesen Platz wird es mit dem Besucherdienst in der Kongreßhalle nicht mehr geben, denn Politiker und ihre Sachwalter haben einen rigiden Stundenplan. So ist Rita Süßmuth, die Betreiberin der Mischfunktionalisierung, der Einladung zur Pressekonferenz jedenfalls mit der Begründung nicht gefolgt, ihr Terminkalender werde schon drei Monate im voraus gemacht. Anke Wiegand-Kanzaki, die Generaldirektorin des HdKdW, setzt solch routiniertem Zeitmanagement die Flexibilität kultivierter Höflichkeit entgegen: Ohne Zauberei und Improvisation im Umgang mit dem Unerwarteten und Unvorhersehbaren läßt sich nach ihrem Selbstverständnis ein internationales Kulturprogramm nicht realisieren. Die Ansprüchlichkeiten von Politikern, die „kommen und am Ende nicht mal von ihnen selbst verfaßte Reden verlesen“, bedeuten nicht nur das Ende solcher Gelassenheit.

Deutschland nach Rostock: Die Verdrängung der gerade etablierten und funktionierenden Institution eines Hauses der Kulturen wäre fatal. Keine Festivals mehr, die sich dem kulturellen Spektrum einzelner Länder widmen. Keine Theaterfestivals mehr, wie die südafrikanische Veranstaltungsreihe mit Produktionen aus den Homelands. Keine Künstler mehr, wie Matias Kauage aus Papua-Neuguinea und die Frauen der AmaNdebele, denen man den ganzen Tag bei ihrer Arbeit zusehen konnte. Keine karibischen Musikfestivals mehr, keine Ausstellungen mehr über Peru, ethnologische Fotografie oder Frauen im Islam. Aber vor allen Dingen auch keine Workshops, keine Tagungen, keine erbitterten Podiumsdiskussionen. Kein Kinderkino, keine Kinderfeste. Kein Ort mehr für die spontane Trauerfeier für einen ermordeten Kurden.

Weit und breit nur noch Fußläufigkeit.