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„Hier mußt du auf deinen Bruder schießen“

Drei türkische Offiziere berichten über ihren Dienst im Bürgerkriegsgebiet  ■ Aus Kurdistan Ömer Erzeren

Der junge, türkische Offizier, der uns mit zwei seiner Kameraden freundlich zum Teegarten neben dem Militärcamp einlädt, blickt starr auf die Panzer und die Militärtrucks, die an der Straße entlangrollen. Ahmet, geboren in Ankara, Absolvent der Militärschule, dient seit sechs Jahren als Berufsoffizier in der türkischen Armee. Er war stets stolz, ein Offizier zu sein. Doch seit seiner Versetzung vor acht Monaten ins kurdische Bürgerkriegsgebiet im Südosten der Türkei verflucht er seinen Job. „Im Westen war ich stolz, eine Uniform zu tragen. Die Menschen blickten ehrfurchtsvoll zu mir hinauf. Hier komme ich mir in meiner Uniform dreckig und schäbig vor.“

Sein Vater hat ihn davor gewarnt, bei der Armee einzutreten. Freunde spaßten, er solle lieber Zitronenverkäufer werden. „Hätte ich bloß auf meinen Vater und auf meine Freunde gehört“, sagt Ahmet. „Ich habe die Schnauze voll. Hier mußt du auf deinen Bruder schießen.“

Die jungen Offiziere, die der Gendarmerie angegliedert sind, haben Guerillakampf gelernt, bevor sie nach Türkisch-Kurdistan versetzt wurden. Nahezu jede Woche sind sie an bewaffneten Auseinandersetzungen mit Partisanen der PKK beteiligt. Mit Helikoptern werden sie zu den Stätten des Kampfes eingeflogen.

Veli ist ein blonder Offizier. Er kommt aus Thrazien im Westen der Türkei, nahe der griechischen Grenze. Er ist der Offizier in der Runde, der am längsten in Türkisch-Kurdistan — seit 1988 — Dienst tut. Bereits bei seinem ersten Einsatz sind zwei Soldaten unter seinem Kommando getötet worden. An die Zahl der Toten bei den Kämpfen, die zumeist nachts stattfinden, kann er sich nicht mehr erinnern. „Du schießt auf 20 bis 30 Meter Entfernung. Es ist ein Kampf von Mann zu Mann. Vieles hat sich geändert. 1989 sind wir auf Gruppen von 10 bis 20 PKK- Kämpfern gestoßen. Heute stoßen wir auf Gruppen der PKK mit 150 bis 200 Leuten. Sie werden immer stärker. Immer mehr Frauen sind in den Reihen der PKK.“

Für ihn ist die Region mitsamt ihren Menschen Feindesland: „Alle Kurden haben doch etwas mit der PKK zu tun. Ich habe einen Fünfjährigen mit einer Kalaschnikow gesehen. Ich bin auf einen 13jährigen PKK-Militanten gestoßen, der bereits eine Guerillagruppe anführt.“

Von dem Lautsprecher des Teegartens ertönt kurdische Musik. Vom Freiheitskampf des kurdischen Volkes ist in dem militanten Lied die Rede. Ahmet weist auf den kurdischen Inhaber des Teegartens, der am Nebentisch sitzt. „Du siehst, selbst der Inhaber dieses Teegartens, mit dem wir seit Monaten befreundet sind, spielt diesen Mist.“ „Soll ich die Musik ein wenig leiser stellen“ fragt der Kurde. „Ach was, es ist doch egal“ ist die Reaktion des Offiziers.

Kurdische Freunde hat Ahmet nie gewonnen. „Alle haben Angst vor uns. Freundschaften mit Kurden gibt es nicht. Es gibt nur die Kollaborateure, die aus Eigeninteresse so tun, als wären sie unsere Freunde.“ Auch den „Dorfmilizionären“, den kurdischen Stämmen, die vom türkischen Staat bewaffnet werden, um gegen die Guerilleros der PKK zu kämpfen, traut Ahmet nicht über den Weg. „Es sind doch Kurden.“

Dem Offizier setzt es zu, daß er noch nicht einmal in der benachbarten Stadt Cizre einkaufen kann. „Es gibt dort überall Heckenschützen. Selbst das Einkaufen geht nur in einer bewaffneten Gruppe.“

Der türkische Generalstabschef Dogan Güres präsentierte jüngst in der türkischen Tageszeitung Milliyet seine Erfolgsrechnung: „Seit Januar sind von denen (PKK- Mitglieder) 800 gestorben. Unsere gefallenen Helden belaufen sich auf 500. Im internationalen Vergleich sind wir erfolgreich im Kampf gegen den Terror.“ Verräterisch war seine Terminologie, als er von der Vorbereitung des „totalen Kampfes“ redete. Die türkischen Politiker sprechen tagein, tagaus vom endgültigen „Schlag gegen den Terrorismus“. „Ich verstehe nichts von Politik“, sagt Ahmet, „doch dieses Politikergeschwafel ist Blödsinn. Schau dir diesen kleinen Jungen an. Auch er wird ein PKK-Partisan werden.“

Instinktiv fühlen die Offiziere, daß sie faktisch einer Besatzungsarmee angehören, die die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hat. Veli blickt in eine düstere Zukunft: „Keiner kann den Krieg gewinnen. Die Zahl der Toten auf beiden Seiten wird steigen. Die Terroristen sind nicht eine kleine Gruppe. Alle unterstützen doch die PKK.“

Die Offiziere wollen nicht verstehen, warum die kurdische Guerilla eine politische Massenbasis bei den Kurden hat. Sie haben sich damit abgefunden. Ungeschminkt erzählt Ahmet, wie der dreckige Krieg geführt wird: „Ich verstehe die Kurden nicht. Während einer Razzia in einem Dorf habe ich die Bauern gefragt, warum sie die PKK unterstützen. Ich habe ihnen gesagt, daß der Staat es nie zulassen wird, daß die PKK ihr Dorf kontrolliert. Zur Not wird er das Dorf eben mit der Luftwaffe bombardieren. Doch die Bauern wollen es nicht verstehen.“

Ahmet und seine zwei Kameraden würden am liebsten sofort ihren Dienst bei der Armee quittieren. „Wir werden verrückt, falls wir es nicht schon sind“, sagt Veli. Doch ein Entrinnen ist nicht möglich. Erst nach sieben Jahren bei der Armee kann man aussteigen. Ansonsten droht Knast. „Ich hoffe, daß sie mich bald aus der Armee rausschmeißen“, gesteht der stillste unter den drei Offizieren. „Dies ist doch Texas. Du kannst hier einen Mann mit dem Messer ermorden. Wenn du anschließend sagst, daß du einen Terroristen umgebracht hast, wird niemand weiter ermitteln.“

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