■ Die FDP läßt sich nach rechts treiben: Schizophrene Liberale
Die Parole des Parteichefs lautete „Mut statt Mißmut“. In Wahrheit war es die nackte Angst, von der viele Freidemokraten auf ihrem Parteitag getrieben wurden: Angst vor der Großen Koalition, Angst, sich beim Asylrecht als kompromißunfähig zu erweisen und vom Regierungszug abgehängt zu werden, tatsächlich auch Angst vor dem Druck der Straße.
Von all diesen Befürchtungen hat sich die FDP leiten lassen, und sie hat auf diese Weise eine Chance verspielt. Eigentlich hatte spätestens der Brandanschlag in Sachsenhausen viele Liberale aufgerüttelt. Sie wünschten sich ein klares Signal ihrer Partei, nun erst recht nicht vor dem rechten Zeitgeist einzuknicken, sondern sich zu den toleranten und demokratischen Traditionen der Bundesrepublik zu bekennen. Dieses Signal hat die FDP nicht gegeben.
Kein Zweifel, daß es die liberalen Kräfte in der Gesellschaft gibt, mit denen sich die Justizministerin gerne gegen den antiliberalen Trend verbünden würde. Doch diesen Teil der Gesellschaft wird die FDP auch nach diesem Parteitag eher abschrecken als anziehen. Zum Asylrecht hat die Partei einen Beschluß gefaßt, der trotz einiger Sperrklauseln sehr vieles offenläßt. Sie hat sich gescheut, Jörg Haider zur unerwünschten Person zu erklären. Die Welle des Rassismus und der Gewalt gegen Ausländer wird von den Freidemokraten zwar mit markigen Worten verurteilt. Aber manche in der Parteiführung lassen sich da offenbar zu einem guten Teil von instrumentellen Überlegungen leiten. In ihren Reden fehlt selten der Hinweis, die Gewalt schrecke Investoren ab und beschädige das Bild Deutschlands im Ausland.
Die FDP hat die innerparteiliche Zerreißprobe vermieden. Aber ihre Politik bleibt schizophren. Wirtschaftspolitisch orientiert sie sich nach wie vor an den Interessen von Splittergruppen — selbst der Bundesverband der Deutschen Industrie hat in letzter Zeit mehr soziales Gewissen gezeigt als jetzt die FDP in Bremen. Anders in innenpolitischen Fragen: Da lassen sich die Freidemokraten von der Stimmung auf der Straße und dem Druck des Koalitionspartners beeindrucken.
Den Linksliberalen bleibt wenig Hoffnung, daß sich die Mehrheiten in absehbarer Zeit ändern. Den ostdeutschen Freidemokraten, die die Hälfte der Mitglieder stellen, bedeutet innere Liberalität wenig. Sie können sich zwar für sozialliberale Forderungen in der Wirtschaftspolitik erwärmen. Doch im Zweifelsfall orientieren sie sich an der vermeintlichen Autorität des Parteichefs. Ein nationalliberaler Flügel kann hier auf Zulauf rechnen. Er beginnt sich in der FDP wieder zu formieren. Hans-Martin Tillack
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen