Kritisch-selbstkritische Bilanz beim Leipziger Forum

■ Arbeitstagung des Forums zur Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit/ Ullmann regt erneut öffentliche Tribunale über Vergehen gegen die Menschlichkeit an

„Eigentlich wollte ich heute die Verdienstmedaille anlegen, aber da Mielke sie mir nicht verliehen hat, hätte ich sie für 27 Mark käuflich erwerben müssen.“ Mit dieser Anspielung auf Manfred Stolpe eröffnete der Bündnis-90-Abgeordnete Gerd Poppe am Wochenende die erste Arbeitstagung des „Forums für Aufarbeitung und Erneuerung“, besser bekannt unter dem ursprünglichen Titel „Tribunal“. Den Geschmack aller Teilnehmer dürfte Poppes Ironie kaum getroffen haben. Denn neben den Bürgerrechtlern Wolfgang Ullmann und Ulrike Poppe waren auch die Mitinitiatoren des Forums Friedrich Schorlemmer und Wolfgang Thierse — beide SPD und nicht gerade als Stolpe- Kritiker profiliert — zur Leipziger Tagung gekommen.

Poppe zog eine kritische Bilanz der bisherigen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit. Sie sei gekennzeichnet durch „Vernebelungen und Lagerbildung“. Auch konzentriere sich die Debatte in erster Linie auf die „Handlanger des Regimes“, während die eigentlich Verantwortlichen aus der Parteispitze weitgehend außer acht gelassen würden. Doch auch in bezug auf das im März gegründete Forum kam Poppe zu einer eher kritischen Bewertung. Weder gebe es arbeitsfähige Strukturen, noch werde die Initiative bislang ihrer Vermittlungsaufgabe bei der Aufarbeitung der DDR-Geschichte gerecht.

In den Arbeitsgruppen — Ambivalenz der Entspannungspolitik, historische Bruchstellen der Diktatur, Gefängnisse und Lager — entwickelte sich denn auch neben der inhaltlichen Auseinandersetzung erneut die Selbstverständnisdebatte der Initiative: Will das Forum ein Ort sein, in dem erlittene Leiden öffentlich artikuliert werden können, versteht man sich als eine wissenschaftliche Einrichtung, oder soll mit dem Forum eine moralische Instanz etabliert werden?

Für Wolfgang Ullmann liegt „in der Beantwortung der Frage nach dem moralischen Inhalt dessen, was Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Frieden sind, die Hauptaufgabe des Forums“. Wie die Alliierten die Nazis, möchte Ullmann auch die Machthaber der DDR unter Berufung auf höherrangige Rechtsgedanken strafrechtlich zur Verantwortung ziehen. Dennoch, weil das Strafrecht politisches Unrecht nur unzureichend sühnen könne, regte Ullmann erneut öffentliche Tribunale an, auf denen Vergehen gegen die Menschlichkeit und den Frieden diskutiert werden sollen. Ulrike Poppe pointierte diesen Ansatz und kritisierte das Versagen der Justiz. Die „simple Forderung“ müsse lauten: „Wer Unrecht begangen hat, muß bestraft werden.“ Julia Albrecht