E.T. telefoniert nach Hause

■ Heinrich Kirchners Monumentalplastiken in den Wallanlagen und anderswo

E.T. telefoniert nach Hause

Heinrich Kirchners Monumentalplastiken in den Wallanlagen und anderswo

Sie wurden „die Münchener Archaiker“ genannt, Anton Hiller, Toni Stadler und Heinrich Kirchner, und waren in den 20ern Meisterschüler an der Münchener Akademie. In diesem Bollwerk gegen die Avantgarde konnten sich konventionelle, „naturnahe“ Formen noch lange halten, und wenn heute in den Bremer Wallanlagen Kirchners ernste und pathetische Giganten mit den lächerlich dünnen Ärmchen aus dem Rasen wachsen, sind sie umhaucht von 60 Jahren „naturhafter Unbeirrbarkeit“ (Peter Anselm Riedl im Katalog).

Kirchners Spätwerk allerdings ist keineswegs herkömmliche und leichtverdauliche Sockelkunst — ein „individueller Expressionismus“ treibt den mythischen und religiösen Gestalten jede Symmetrie aus, verzerrt die Dimensionen, streckt die Arme Richtung All. Bedeutungsträger. Idole.

„Bild des Hoffens“ und „Prometheus“ und „Wandernder Mensch, er sieht das helle Licht“ lauten die Titel. Neben der Größe und der dramatischen Gestik der Skulpturen fällt die Bronzeoberfläche ins Auge, auf der Bearbeitungsspuren, Nieten und Schweißnähte sichtbar sich. Kirchner war ein Meister der Bronzebearbeitung. Viele Jahre lang leitete er als „Erzgießer“ eine Werksstatt und goß u.a. Plastiken von Gerhard Marcks.

Heinrich Kirchner wurde 1902 in Erlangen geboren; seine Künstlerlaufbahn schlug er gegen den Protest der Eltern ein. Die Münchener Akademie lehnte ihn zunächst ab. 1924 wurde er in die Klasse von Hermann Hahn aufgenommen. Er studierte den antiken Bronzeguß im Wachsschmelzverfahren. Wie auch andere figürliche Bildhauer war sein Verhältnis zum Naziregime ambivalent — zum Teil mit Ausstellungen geehrt, zum Teil („Die kleine Paula“) mit Beschlagnahmung verfolgt, vergrub er schließlich einige seiner Plastiken in der Erde und arbeitete „neutral“: Tierthemen, Porträts, kleine Figuren und Genremotive. Das 1991 von seiner Tochter Michaela Kirchner herausgegebene Werkverzeichnis kann leider keine näheren Auskünfte über zwei 1933/34 und 1937 fertiggestellte Reichsadler (mit Hakenreuz) geben — es „liegen keine gesicherte Erkenntnisse vor.“

Im Krieg arbeitete er im Auftrag seiner Offiziere („...wie es sich im Scheinwerferlicht einer Flakbatterie modelliert“), bei den Amerikanern in Gefangenschaft

hierhin bitte

die Parklandschaft

Einer von Kirchners SchattenwerfernFoto: JO

baute er aus Care-Paketen eine „Friedensgöttin“. 1952 wurde er Professor der Münchener Akademie. Seine religiösen Grundformeln Liebe und Hoffnung wurden zunehmend zentral in seiner Arbeit. Kirchner war ein durch und durch frommer Mensch. 1970 emeritiert, begann er, schnell immer größere Eiermänner, Wanderer, Friedensboten zu bauen, die er vors Haus stellte und die jetzt in Bremen angekommen sind. 1976 erhielt Kirchner den Bayerischen Verdienstorden, 1984 starb er.

Das Werk „Prometheus greift nach den Sternen“ interpretiert die Putzfrau des Gerhard Marcks-Hauses so: „E.T. telefoniert nach Hause.“ Gestandene Rezensenten entdecken Heiter- Ironisches in den bizarren Figuren. Vernissagengeher assoziieren Penck. Heinrich Kirchner, der nachdenkliche, fromme Erzgießer freut den Zeitgeist — vielleicht zum ersten Mal. Bus

Der Bildhauer Heinrich Kirchner (1907 — 1984) bis zum 8. Nov. im Gerhard- Marcks-Haus. Das Werkverzeichnis mit 208 Seiten und 297 Abb. kostet 42 Mark.