Das Tuscheln der Spiegel

■ Objektkunst als bitterernste Grundlagenforschung: „Zerotonie“ in Bremerhaven

Etwa auf der mittleren Stufe der Treppe, die im großen Raum der Bremerhavener Kunsthalle auf eine Galerie führt, steht eine Kaffeetasse. Sie könnte gerade von einem der Gäste abgestellt worden sein, die zur Eröffnung der Ausstellung „Zerotonie“ mit Objekten des Bremer Künstlers Horst Müller erschienen sind. Daß der profane Gebrauchsgegenstand Teil der Ausstellung ist, erkennt man erst auf den dritten Blick: Das „Gefäß“ hat zwei symmetrisch angeordnete Henkel, es läßt sich nicht wegstellen; Tasse und Untertasse kleben am Boden, sie sind zur Plastik geworden. Eine vordergründige Irritation? Alles schon dagewesen?

Dem in Bremerhaven geborenen 49jährigen Maler und Objektkünstler geht es um mehr. Mit 17 in den letzten Jahren entstandenen Werken, genannt „Provisorien“, versucht er, aus den beliebigen Sammelsurien und Recycling- Verfahren der Postmoderne nach einer Art „Post-Postmoderne“, wie er sagt, auszubrechen. Seine verfremdeten Gebrauchsgegenstände — Möbelgriffe, Regenschirme oder Magnetplättchen — sollen weder besonders witzig noch originell sein. Horst Müller betreibt bitterernste Grundlagenforschung zur Spiegelfunktion von Kunst.

Er fragt zum Beispiel, wie Kunst die Zeit festhalten kann. Über den Köpfen der Besucherinnen hängen zwei gewöhnliche Werkstattuhren. Die beiden Kreise laufen ineinander über, sie haben spiegelbildlich symmetrische Zifferblätter, die Zeiger bewegen sich synchron, die Zeit steht nicht still. Aber daß die im Werk festgehaltene Zeit nicht angehalten wird, erleben nur die Geduldigen, die sich Zeit nehmen für ein „Rondevous“ (so der Titel) mit dem Objekt.

Horst Müllers Objekte sind Untersuchungsinstrumente, mit denen er nach einer tragfähigen Grammatik der Kunst fragt. Er spielt an auf die Minimal Art von Donald Judd und die umgekippten Tische von Reiner Ruthenbeck. Er fragt nach Kraftfeldern, nach Spannungen und schafft sie zugleich dadurch, daß er die von ihm veränderten Gegenstände dem täglichen Gebrauch entzieht.

Zwei mit der Spiegelseite aufeinandergelegte Wandspiegel zeigen nur ihre blinde Außenseite. Ein Sitzmöbel „Le Corbusier“ aus Chromstahl und Leder kann nicht „besessen“ werden, da die Polster zwischen Unter- und Oberboden eingeschlossen sind. In Billigkopien abgelichtete Sofortbildkameras werden fünffach hintereinander jeweils unter Wechselrahmen geschichtet, siebenfach nebeneinander und spiegelbildlich an gegenüberliegenden Wänden angebracht. Die Formreihe, sagt Horst Müller, ist „ein rhythmisch reproduktiver Schub von der Wand in den Raum hinein“. Sie heißt konsequent „70 Augen“.

Die Ausstellung „Zerotonie“ ist ein lakonisches, subtiles und ironisches Spiel mit der jüngsten Kunstgeschichte seit dem Aufbruch der Zero-Gruppe, die in den 50er Jahren vom „Null- Punkt“ aus künstlerisches Neuland betreten wollte. Horst Müller spricht lieber von „feinen Rissen im Festgefügten“. Hans Happel

zu sehen bis 1.11.