Im Jahr 2000 der 3. Weltkrieg

■ Auftaktveranstaltung zur Gründung einer Friedensuniversität in Potsdam: Kinder aus Ost und West diskutierten über die deutsche Einheit und den Ausländerhaß

Potsdam. Wenn Kinder politisch diskutieren, dann ist mehr über den Zustand einer Gesellschaft zu erfahren als bei Erwachsenen. Dieser Meinung ist auch der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter, der 20 Kinder aus zwei Grundschulen in Potsdam und West-Berlin am »Tag der deutschen Einheit« zu einem Gespräch ins Neue Palais von Sanssouci eingeladen hat. Der Anlaß, der Prominenz von Lea Rosh über Valentin Falin bis zu einem Vertreter der UN-Friedensuni in Costa Rica anlockte: die Auftaktveranstaltung zur Gründung einer Friedensuniversität in Potsdam im Jahre 1995 als privatfinanzierte Institution interdisziplinärer Fortbildung.

Das Hauptproblem der Sechstkläßler, da spiegeln sie in schockierend ehrlicher Weise ganz ihre Umgebung wider, sind die Ausländer. »Ich habe nur was gegen die, die hier besser leben wollen als in ihrem Land. Gegen die Kroaten, die aus dem Krieg kommen, hab' ich nix«, formuliert ein Junge die Mehrheitsmeinung der Potsdamer. »Ich hab' mal Türkenfrauen gesehen, wie sie in einen Wäschecontainer geklettert sind und Sachen rausgeholt haben«, ergänzt eins der Mädchen in anklagendem Ton. »Dann sollen sie doch in ihrer Heimat bleiben.« »Ich kenne auch Deutsche, die Mist machen«, verteidigt ein kurdischer Junge durchaus eloquent die Sache der Ausländer, »das ist doch kein Grund, uns zu hassen«. Zustimmendes Nicken. Deutsche, die Scheiße bauen, kennen alle. Und: »Es gibt auch gute Ausländer.« Einem Zwölfjährigen aus Potsdam fällt die Geschichte seiner Mutter ein, der »mal ein Hundertmarkschein weggeflogen ist. Ein Neger hat ihn ihr zurückgebracht und nicht mal Finderlohn verlangt. Ein Deutscher hätte den bestimmt haben wollen.«

War es denn vor dem Mauerfall besser? Abgesehen davon, daß sie jetzt »keine Stunde mehr für eine Banane anstehen müssen«, sind die Ost-Kids davon überzeugt. »Früher hatten wir keine Randale und keine Skins«, sagt ein Mädchen. Aber woher kommen die denn? Aus dem Osten, befinden die Westler. Aus dem Westen, befinden die Ostler. So offen würden Erwachsene nie ihre gegenseitigen Projektionen aussprechen. Einem Jungen aus West-Berlin fällt schließlich die versöhnende Antwort ein: »Die Skins sind mehr geworden, weil sie sich zusammengetan haben aus Ost und West.« Und wegen der Langeweile, ergänzen die aus Potsdam. »Früher wurde sehr viel mehr Sicherheit gemacht als heute. Alle kriegten eine Lehrstelle. Und es gab viel mehr Freizeitmöglichkeiten. Heute sind die Jugendklubs alle dicht.«

Selbst mit der Umweltfrage, beklagen schon die Zwölfjährigen mit nostalgischem Unterton, habe man sich in der DDR mehr beschäftigt als heute. »Bei uns gab es keine Getränkebüchsen — das könntet ihr mal übernehmen.« »Im Jahr 2000 gibt es vielleicht auch keine Autos und Flugzeuge mehr«, wünscht sich der kleine Kurde. Aber die Mehrheit der Kinder scheint die Zukunft äußerst pessimistisch zu sehen. »Jetzt bekriegen sich die Kurden und Jugoslawen«, sagt einer aus dem Osten, »und das rückt immer näher. Ich kann mir vorstellen, daß im Jahr 2000 der Dritte Weltkrieg kommt.« Ute Scheub