: In Soldatenstiefeln für Polens Zukunft
Letzte Woche erschlugen Skinheads einen deutschen Lkw-Fahrer/ Der Gewaltakt ist nur die Spitze eines Eisbergs/ Skinheads und Jungnationalisten — Beobachtungen in Krakau ■ Von Annette Rogalla
Die Retter des Vaterlandes treffen sich jeden Freitagabend in einer Flußaue am Rande von Krakau. Dort zündet der 17jährige Marcim gemeinsam mit seinen Freunden ein Feuerchen an. Sie trinken ein bißchen Wodka und Bier aus Flaschen und essen saure Gurken. Das Äußere der jungen Männer ist uniform: Die Haare so kurz geschnitten, daß die Kopfhaut durchschimmert, Fliegerjacken und Soldatenstiefel. Sie sind Skinheads, gut organisiert. Allesamt gehören sie zu Polens ultrarechter Partei SN, zur Stronnictwo Norodowe. Am Lagerfeuer üben die Jungmänner, rechte Haltung anzunehmen. Sie stellen die Bierflasche beiseite, drücken das Kreuz durch und recken den rechten Arm, strecken die Hand ganz nach vorn. Mit dem Hitlergruß habe das nichts gemein, versichert Marcim. Es sei der alte Gruß der polnischen Nationalisten. Der ausgestreckte Arm verstärke lediglich die Blickrichtung. Wenn sie beim Feuerschein ihre Gesänge proben, stehen sie stramm. Das Lied, das sie ihren krächzenden Kehlen entlocken, erzählt von einer goldenen Sonne, einem weißen Adler, der erhaben durch die Lüfte schwingt, und von Menschen, die hocherhobenen Hauptes durch die Welt gehen. Im Geiste sehen sich Marcim und seine Freunde bereits als Erneuerer in die polnische Geschichte eingehen.
Die erste Etappe im politischen Kampf findet anderntags auf dem Marktplatz von Krakau statt. Punkt zwölf Uhr biegen die Jungnationalisten bei der Marienkirche um die Ecke. Je acht Mann haken sich unter, halten fünfzehn Reihen fest geschlossen. Waren es am Lagerfeuer noch vierzig, stellen sich nun einhundertzwanzig selbsternannte nationale Erneuerer geschwind um das Denkmal des polnischen Dichters Adam Mickiewicz im Kreis auf. Ganz nah wollen sie dem Mann sein, der vor gut einhundertachtzig Jahren einen heroischen Nationalismus predigte. Damals wurde Polen zwischen Deutschland, Rußland und Österreich aufgeteilt und verschwand für einhundertzwanzig Jahre von der Landkarte.
Marcim reckt sich in Positur, die Hände liegen brav an der Hosennaht, stocksteif und zeitlos läßt er seinen Blick in die Ferne schweifen, dorthin, wo er die Zukunft vermutet. „Noch ist Polen nicht verloren“, zur Einstimmung auf die anschließende Manifestation stimmt die Parteijugend der SN die Nationalhymne an. Dann blicken sie noch entschlossener drein und schwören bei der Fahne, Widerstand zu leisten, sollte irgend jemand Polen bedrohen. Die Gelöbnis-Inszenierung kommt an beim Publikum. Mehr und mehr Passanten drängen dicht an die Gruppe. Vor allem ältere Leute verteilen aufmunterndes Lächeln. Sie sind erfreut, da junge Menschen auf dem Marktplatz die alten nationalistischen Lieder aus der vorkommunistischen Zeit singen. „Ich bin schon alt. Phantastisch, da die Jungen etwas für unser Land machen.“ An einem Arm hängt das Einkaufskörbchen mit Gemüse, am anderen die Gattin. Die trotzigen Jungmänner inspirieren den ausnehmend gut gekleideten 60jährigen Herrn mit den bürgerlichen Manieren. Kräftig hatte er bei der Nationalhymne mitgesungen. Zwei eingetrocknete Salzspuren, die sich von den blanken Augen über die Wange ziehen, zeugen von ergriffenen Momenten.
Marcim und seine Parteifreunde sprechen aus, was viele Polen denken. Mit ihren nationalistischen Tönen suggerieren sie eine politische Einigkeit, die derzeit Polen fehlt. Korruption und Machtmißbrauch blühen. Für viele der siebenunddreißig Millionen Einwohner Polens wurde der Traum von der Marktwirtschaft zum Trauma: Vorbei die Zeiten, in denen Wohnungsmieten, Grundnahrungsmittel und Schwerindustrie hoch subventioniert waren. In den Krakauer Geschäften zwinkert verhalten der Wohlstand: Schuhe aus Italien, Tee aus England, Schweizer Schokolade, deutsche Autos. Doch wer kann sich das schon leisten?
Diese Stimmung kommt den Ultrarechten zupaß. Gekonnt packt auch der Jugendsekretär der SN, Darius Mista, 24, die kompliziert gewordene Lage in alte Worthülsen aus dem ewigen Gestern. Damit die „polnischen Menschen“, zu denen er sprechen will, ihn besser sehen können, steigt der auf eine Bank. Von oben herab holt er aus zu einem politischen Rundumschlag: „Wir sind gegen das vereinte Europa, in dem sich die verschiedenen Kulturen mischen“, ruft er seinen Zuhörern auf dem Krakauer Marktplatz zu und stemmt mit seinem rechten Arm jedes Wort einzeln in die Luft. „Wir protestieren gegen das westliche Kapital, wir wollen keine Juden in unserem Land, wir sind gegen die Regierung in Warschau.“
Nach der Revolution von 1989 sind Kommunisten als böse Verderber der Seelen besiegt — nun taucht überall ein altes Feindbild wieder auf: die mythische, symbolische Figur vom Juden. Die rechte Bewegung lebt vom Antisemitismus. Die katholische Kirche reagiert nur lau darauf, gerät sie doch selber immer wieder in den Verdacht, antisemitisch zu sein. Der Antisemitismus erfüllt auch für die Ultrarechten eine ganz konkrete Funktion: Er ist ihr Ersatz für das abhanden gekommene Feindbild. Antisemitischen Parolen stimmen auf dem Krakauer Marktplatz Alte wie Junge zu.
Zweimal in der Woche treffen sich die organisierten Skinheads zur politischen Schulung in den Räumen der SN, im Zentrum von Krakau. Die Warschauer Parteizentrale schickt das Material. Die Bücher stammen durchweg aus den dreißiger Jahren. Im Angebot finden sich Titel wie: „Der Christ im jüdischen Talmud“ oder „Die Dämmerung Israels“, aber auch „Das Programm der jüdischen Politik in der Welt“, mit dem Untertitel: „Konspiration und Enttarnung“. Auf dem alten jüdischen Friedhof in Krakau werden wieder Grabsteine umgeworfen.
Die rechtsradikale polnische Nationalbewegung rekrutiert vor allem junge Männer. Niemand der eingeschriebenen Mitglieder des Krakauer Jugendverbandes der SN ist älter als 22 Jahre. Seit Dezember 1990 haben sich über zweihundert Jugendliche in die Liste der SN eingetragen, davon nur zwei Frauen. Junge Arbeiter finden ebenso zu den Nationalisten wie angehende Mediziner und Rechtsanwälte. Die Skinheads pflegen überlieferte Antipathien. Menschen aus der Ukraine, mit dem sich Polen blutige Auseinandersetzungen bereits in den dreißiger Jahren lieferte, werden erneut Objekt chauvinistischer Begierde.
Sie fahren Hunderte von Kilometern, um nach Polen zu kommen. Alle drängen sie auf die Krakauer Märkte. Sie verkaufen alles, was sie dabei haben; manchmal sind es nur ein paar Fellmützen oder Schraubenzieher. Ganze Familien kommen mit. Sie kampieren in der Bahnhofshalle. Sanitäre Einrichtungen gibt es nicht. Manchmal quillt die Halle über, wenn sie lange auf die Heimfahrt warten müssen, weil das nötige Geld für die Rückfahrkarte noch nicht beisammen ist.
Ginge es nach Rala, dem Jungnationalisten, dürften Ausländer in Polen keinen Anteil am Wirtschaftsgeschehen haben. Seine Maxime ist simpel: Jeder soll in dem Land verkaufen und kaufen, in dem er lebt.
Mitunter jedoch hält er sich selbst nicht an die eigenen Leitlinien: dann, wenn sie auf Einkaufstour gehen. Drei bis viermal im Jahr fährt Rawa, 20, angehender Zahnarzt, nach West-Berlin, zum Skinheadausstatter. Auf die Reise nimmt er gerne seinen Freund Marcim mit. Eine ganze Nacht dauert die Bahnfahrt. Im Morgengrauen kommt der Zug im Ostberliner Bahnhof Lichtenberg an. Kaum da sie aus dem Zug ausgestiegen sind, wird es für die beiden gefährlich. Häufig treffen sie zur frühen Stunde bereits deutsche Rechtsradikale, die polnischen Touristen nachstellen, weil sie finden, Deutschland gehöre einzig und allein den Deutschen. Dann schlagen deutsche und polnische Skinheads sich ihre nationalistischen Einstellungen um die Ohren.
Die „Korona“, der Sportpalast von Krakau. In den abgeschabten Kellerräumen der Veranstaltungshalle hat sich ein Kraftstudio einquartiert. Nicht gerade die allerbeste Adresse des Breitensports. Chromglänzende Hanteln und Schenkelpressen fehlen. Die muskelmachenden Maschinen hat der Inhaber zum größten Teil selbst zusammengebastelt.
Der schweißgeschwängerte Keller ist für Marcim und seine Parteifreunde zur zweiten Heimat geworden. Bis zu sechsmal in der Woche kommen sie her und legen sich zum Gewichtedrücken auf die Bank. Eine mit Eiweißpräparaten angefutterte Muskelmasse ist bei den Jungnationalisten verpönt, sie bevorzugen Hausgemachtes. Jeden Tag klemmt sich Marcim zwei Stunden in die Maschinen, denn: „Nur wer kräftig ist, kann ein hundertprozentiger Skinhead werden.“ Nachts lauern die Jungnationalisten ihren Gegnern auf. Ginge es nach den Skinheads, dürften ausländische Studenten erst gar nicht in Polen studieren. Sie greifen vor allem dunkelhäutige Studenten an. „Aber das ist jetzt weniger geworden. Die trauen sich doch im Dunkeln sowieso nicht mehr auf die Straße. Jetzt hetzen Marcim und seine Freunde Punks hinterher. Häufig geht es dabei nicht ohne Blutvergießen ab. Die Polizei schickt bereits Sondereinsatzkommandos zu Punk- und Skinheadkonzerten.
Auf dem Polizeirevier am Krakauer Markt zeigt der diensthabende Beamte voller Stolz seine Verwahrzelle. Im muffigen Treppenhaus steht der Gefangenenkäfig. Vier Quadratmeter Grundfläche, knapp zwei Meter hoch, ein Käfig aus festem Drahtgeflecht, gelb angemalt. Außer den kurzen Zwangsaufenthalten in der Zelle wird den Jugendlichen keine staatliche Aufmerksamkeit zuteil. Finanziell geförderte Jugendklubs etwa existieren nicht in Krakau. Ebensowenig wie Sozialpädagogen. Und auf die mehrfach politisch gewendeten Lehrer in den Schulen ist kein Verlaß. Niemand, der die Jugendlichen auf dem unsicher gewordenen Weg in die Zukunft begleiten würde.
Bei ihrer Suche nach einer eigenen Identität greifen die nationalistischen Skins gerne zu den Werten vergangener Tage. Sie beanspruchen dabei keinen geringeren Platz als den neben den Widerstandskämpfern der polnischen Heimatarmee. Im Zweiten Weltkrieg gehörten ihr nicht weniger als eine halbe Million Menschen an. Sie organisierte 1944 den Warschauer Aufstand.
Viele alte Mitglieder der rechtsnationalistischen Partei SN kämpften in der Heimatarmee, gegen die Deutschen wie gegen die Sowjets. Teilweise trugen die streng konservativen, nationalistisch eingestellten Männer das Parteibuch der SN auch schon in den zwanziger Jahren. 1989 wurde die Partei offiziell neugegründet. Wladislaw Gedlek, 74 Jahre alt, aus Krakau ist einer der Initiatoren. 1940 erschossen deutsche Soldaten die Ehefrau, den Bruder und die Mutter. Nach seiner Zeitrechnung war Polen von 1939 bis 1989 durchgehend besetzt.
Kräftig schürt Gedek unter seinen Anhängern die Angst vor den neuen Nachbarn Deutschland, Rußland und Ukraine. Unablässig predigt er Patriotismus, preist ihn als Allheilmittel gegen die Beschwerden einer zerrütteten Gesellschaft. Wladislaw Gedlek schließt eine paramilitärisch ausgebildete Rechte in Zukunft nicht aus: „Derzeit bereiten wir unsere Jungs noch nicht direkt auf den Kampf vor. Zuvor brauchen sie noch die strenge patriotische Erziehung. Aber vielleicht werden wir in Zukunft paramilitärische Gruppen aufstellen, vielleicht.“
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