Die Stasi im autonomen Unterschlupf

■ IM Jan im Ottenser Werkhof-Labyrinth auf der Suche nach dem Geheimnis der "taz hamburg" / Ein finsteres Treppenhaus, Namen, die man sich nicht merken kann und ein Mädel mit Kaffeekanne

auf der Suche nach dem Geheimnis der »taz hamburg« / Ein

finsteres Treppenhaus, Namen, die man sich nicht merken kann und ein Mädel mit Kaffeekanne

Donnerstag, 8.November 1985. Ein schmuddeliger Herbstnachmittag im dreckig-idyllischen Arbeiterstadtteil Ottensen. IM „Jan“, den Einsatzbefehl aus Potsdam „zur Durchführung von Aufklärungsmaßnahmen zu bekannten Redaktionen“ im Herzen, ist vor Ort, mitten im wuseligen Komplex des „Werkhofs“. In jenem Backsteinmonster an Gaußstraße und Nernstweg also, in dem einst Kopfwäscher Dralle seine Zaubertränke braute, in dem aber von 1981 bis 1989 auch die Redaktion der taz hamburg residierte.

IM „Jan“ ist an diesem Tag hellwach. Er notiert: „Anscheinend ist das ehemalige Dralle-Gebäude ein Unterschlupf für alle möglichen autonomen, sich links und revolutionär, antifaschistisch und oppositionell gebärdenden Gruppierungen ohne einheitliche Führung. Alles ein bißchen hochtrabend und verlottert.“ Dann der erste Schock: „Das linke Café Treibeis bietet 1 Täßchen Kaffee für 3,60 DM an. Besonders zu empfehlen für den kleinen Arbeiter und den Erwerbslosen! Tschibo und Eduscho verkaufen die Tasse Kaffee schon für 70 Pfg.“ Einmal auf dem abschüssigen Pfad der Wirtschaftsspionage, kennt Jan kein Halten mehr. Mutig schleicht er sich in die WUP, Werkstatt für umweltfreundliche Produkte. Seine Tarnfrage könnte hinterlistiger nicht sein: „Ich erkundige mich nach dem Preis von Umweltschutzpapier im Format DIN A4 und den Konditionen bei größeren Bestellungen.“

Jans überreiche Beute ist eine WUP-Preisliste, die später feinsäuberlich in den Archiven des MfS unter taz abgelegt werden wird. Nur eines verschließt sich dem braven Spion: „Inwieweit die WUP mit der Taz, und ob überhaupt, liiert ist, konnte ich nicht feststellen.“ Jan pirscht sich an das eigentliche Objekt seiner Späher-Begierde heran: die taz. Der Weg dorthin ist voller Gefahren: „Im Nernstweg befindet sich noch ein zweiter Eingang, über dem Kommunikationszentrum steht. In diesen Räumen muß sich eine Gaststätte befinden. Ich bin aber noch nicht drin gewesen, da man, wenn man nicht auffallen will, entsprechend gekleidet sein muß.“ Bangen Herzens kämpft sich Jan durch das finstere Treppenhaus: „Es ist unsauber und wenig einladend.“

Doch die Pflicht ruft. Der Einsatzbefehl läßt keinen Spielraum.

1Genosse Hauptmann Kranz, Leiter des Referats 1 der MfS-Hauptabteilung XXII in Potsdam, wollte es genau wissen; sein Ziel: „Rechtzeitige Erkennung und vorbeugende Verhinderung von staatsfeindlichen Aktivitäten gegen die DDR; Beeinflussung der Berichterstattung in der TAZ zur Unterstützung der fortschrittlichen Kräfte in der BRD/WB unter Nutzung des politischen Differenzierungsprozesses innerhalb der Redaktion.“ Jan steigt Stockwerk um Stockwerk höher, vorbei an der Umweltschutzorganisation Robin Wood, einer Bio-Beratungsstelle und „weiteren obskuren Vereinigungen mit ellenlangen Namen, die ich mir nicht alle merken konnte.“ Dann, der entscheidende Moment: „Die Eingangstür zur taz stand offen.“ IM Jan faßt sich ein Agentenherz und tritt ein. Er findet einen Mann vor („untersetzt, kräftige Figur, ohne Brille“), dem er seine coole Tarnstory andreht: In Kennzeichen D hat Jan einen Bericht über die prekäre Lage der taz gesehen, der ihn „auf die taz und die anerkennenswerte Arbeit dieser jungen Leute aufmerk-

1sam“ machte. Jan kauft sich eine taz vom Tage und wird gleich in ein Abo-Werbegespräch verwickelt.

In diesem prekären Augenblick betreten zwei weitere TazlerInnen die Szene, ein Mann („Stirnglatze, randlose Brille“) und ein „junges Mädchen“ („klein, dunkelbraune Haare, mit Kaffeekanne“). Jan nutzt die Gelegenheit zum Abtauchen: „Da sich der mit mir zuvor unterhaltende Mann den beiden Eingetretenen zuwandte, verabschiedete ich mich.“ Jans Beute: eine taz vom Tage, drei inhaltsleere Personenbeschreibungen, die Kenntnis des Kaffeepreises im Treibeis und eine WUP-Preisliste. Wir wissen nicht, welche Schlüsse Hauptmann Kranz aus diesem brisanten Geheimmaterial zog. Wohl aber freuten wir uns, daß in den folgenden Jahren die DKP und ihre Töchter treue Anzeigenkunden waren. Dies ging einher mit dem verzweifelten Bemühen, einen Fuß in die Szene zu bekommen und gemeinsame grün-dkpistische Wahllisten aufzustellen. Am Schluß gab Hamburgs DKP auch diese Versuche auf und rief insgeheim zur

1Wahl der GAL auf.

Was aber Hauptmann Kranz bis heute nicht weiß: In den Anfängen der taz hamburg gab es ernsthafte überlegungen, einen Fortsetzungsroman abzudrucken: Die unsterbliche Arbeiterklassen-Saga „Thälmann und die Krokusse“, ein ergreifendes Werk über Hamburgs größtes Arbeiterkind, den Kämpfer, Vater und Genossen Thälmann. Höhepunkt der realsozialistischen Schmonzette: Familie Thälmann fährt nach Glückstadt, um dort die Blüte der Krokusse im Schloßgarten zu erleben. Leider ist dieser wegweisende Roman inzwischen

1vergriffen. Kleine Bitte an IM Jan und Hauptmann Kranz, falls sie diese Zeilen lesen: Die taz hamburg würde sich über die Zusendung des Werkes „Thälmann und die Krokusse“ sehr freuen. Es kann u.E. unmöglich vernichtet worden sein. Gucken Sie doch einfach mal in Ihrem Archiv nach, das ist wahrscheinlich besser als unseres! In alter Verbundenheit! Und wenn Sie noch ein paar taz-Kettenbriefe brauchen - null Problem. übrigens, unsere neue Adresse: taz hamburg, Chemnitzstraße 78 (hieß leider nie Karl-Marx-Stadt-Straße), 2 HH 50. Florian Marten