Der Konkurs ist greifbar

KOMMENTAR

Der Konkurs ist greifbar

Die Strafjustiz steht vor einem Abgrund, nicht nur in Hamburg. Das ist nach den Schilderungen des hochrangigen JuristInnen-Quartetts eine unumstößlich Tatsache. Wer in einer solchen Situation genüßlich über vermeintlich „faule Richter“ palavert und monatelang darüber lamentiert, daß ein des Mordes dringend Verdächtiger aus der Untersuchungshaft entlassen werden mußte, schießt gekonnt am Ziel vorbei.

Notwendig ist es, den Ursachen auf die Spur zu kommen. Daß mehr Straftaten begangen werden und die Gerichtsverfahren länger dauern, das mag ja alles stimmen. Aber die politisch Verantwortlichen sollten den Mut haben, und dies ganz schnell, zu einer radikalen Reform der Rechtspflege. Es ist ein Anachronismus, daß Hühnerdiebe, Schwarzfahrer oder Kleindealer hochqualifizierten Juristen die Zeit stehlen, die sie bräuchten, um gegen Wirtschaftskriminelle, die Drogen-Mafia und Kapitalverbrechen vorzugehen.

Die Probleme der Justiz werden langfristig auch nicht durch mehr Richter gelöst werden. Denn dann dürfte die Polizei auf der Matte erscheinen und Forderungen stellen, weil eine größere Justiz ja auch mehr Straftaten ahnden könnte. Eine solch verschrobene Logik ist ihnen ohne weiteres zuzutrauen.

Den Ursachen auf die Spur kommen heißt aber auch, unbequeme Fragen zu stellen. Zum Beispiel an Wolfgang Curilla, der bis vor 15 Monaten Justizsenator war und offensichtlich nicht die Spur einer Ahnung hatte, was sich in seinem Ressort zusammenbraute.

Vor diesem Hintergrund ist der Offenbarungseid der Justiz, der sehr schnell zu einem Konkurs eskalieren kann, ein ehrlicher Hilferuf. Norbert Müller