Ein bißchen kreuzkatholisch

■ Werner Schwab, Dramatiker des Jahres, hat noch ein paar Texte in der Schublade: Anselm Weber hat in Frankfurt einen davon inszeniert: „Die Präsidentinnen“

Taste drücken. Schneller Vorlauf: Vorspiel auf dem jungen wilden Kasperltheater. Die rote Sonne scheint kitschig über den blauen Bergen, irgendwo ein Kruzifix, Plastikbilder vom Heiligen Vater. Aus dem Fernseher urbi-et- orbit es. Die Worte der jugendlichen Comic-Präsidentinnen sind kaum zu verstehen: So atemlos kreischen sie sie hinaus. „Einen Verkehr haben“ — „Tranchierte Sau“ — „Die Liebe, die Liebe“: Fetzen nur kommen an. Vorhang. Taste drücken. Schneller Rücklauf. Stop. Play. Weggezaubert die Mickymaus-Präsidentinnen, weißgetüncht der Hintergrund, keine Sonne, keine Berge. Zwei ältere Frauen, eine jüngere: sitzen um einen Tisch mit abwaschbarer Plastikdecke, stieren vor sich hin und beginnen von neuem. Alles noch mal, langsam, zum mitdenken. Oder so.

Die Präsidentinnen: Ingeborg Engelmann ist die dummgeile Grete — mit Kunsthaarperücke, Goldklunkern und quietschgrüner Bluse mit Blumenmuster — wie aus dem neuen Quelle-Katalog. Judith Engel ist das fromme Mariedl: steht in groben Wanderschuhen und hat die Haare zum Schneckchen geknotet — die heilige Einfalt als weltlicher Bilderstock.

Eleonore Zetzsche ist „Mutter“ Erna: In ärmelloser Kittelschürze und Pelzhaube vom Müll, gebeutelt von ihrem doofen Sohn. Müll ist das Stichwort: Trash. Dieses Stück sei, sagt Werner Schwab, sein „trashigstes“, ein Schrottwerk mit drei alten Frauen. „Präsidentinnen glauben alles zu wissen, über alle zu bestimmen. Eine Form von Größenwahn.“ Wie auch das Stück. „So einen tiefen Sinn hat alles gehabt“, läßt Schwab seine Erna an einer Stelle sagen.

Das Stück jedenfalls hat ihn nie gehabt. Es ist Müll — Wortmüll zuallererst. Die seltsam verquere Sprache Schwabs erzeugt die Figuren, die Situationen. Die aber be- deuten nichts. Und: Sie sind weit von der Genauigkeit entfernt, die Schwab die Maxime seiner Arbeit nennt und mit der er im vielgelobten „Volksvernichtung oder meine Leber ist sinnlos“ den Bürger zeigt. Da ist dem Dramatiker des Jahres, der österreichischen Hoffnung des deutschsprachigen Theaters, nicht gerade ein Meisterstück gelungen vor vier Jahren — auch wenn man sich als Zuschauer köstlich amüsiert, weil alles so schön blöd ist. Vielleicht ist es auch deswegen erst jetzt in Deutschland erstaufgeführt worden.

In den Präsidentinnen bleibt der Groll diffus. Ein bißchen geht's gegen das Establishment, ein bißchen gegen die kreuzkatholische Spießigkeit Österreichs. Vor allem geht's um eines: „Warum sollen so ein paar alte Blunzen wie wir nicht auch mal einen Spaß haben?“ fragt eine der drei Präsidentinnen irgendwann. Ja, warum eigentlich nicht? Zum Beispiel auf diesem Volksfest. Erna erzählt ständig von einem Leberkäs-Händler, der so heißt wie der polnische Papst, im Walde Marien-Erscheinungen hat und sie beinahe einmal geheiratet hätte, wäre nicht ihr sturzbetrunkener Sohn Hermann dazwischengeplatzt.

Grete phantasiert sich ihren strammen Tuba-Bläser Freddy, der ihr's am Rande eines Volksfestes von hinten besorgt, bevor er sich heimlich schleicht, weil er die alte Schachtel doch nicht für ewig haben will. „Das Geschichtliche“, weiß Erna, „ist immer verheerend für den Menschen.“

Sex, Lügen und fester Stuhl: das fleißdoofe Mariedl wühlt lieber so lange in verstopften Klos, bis es wieder ordentlich flutscht, und läßt sich als heilige Johanna der Aborte von den begeisterten Massen feiern: „Das Mariedl macht es ohne— Gummihandschuhe.“ Dafür findet sie schon mal eine Dose Gulasch und ein Fläschchen Parfüm als Verstopfungsursache: Die hat ihr der Pfarrer „wie der Osterhase“ in der Scheiße versteckt. Daß ausgerechnet Mariedl am Ende mit ihrer Vision die der anderen beiden zerstört: Man hat es kommen sehen.

And: What is it good for? Absolutely nothing. Trash as trash can. Die Frankfurter Aufführung kann dem Stück nichts hinzugewinnen, was es nicht hat: Sinn. Daß es dennoch eineinhalb kurzweilige Stunden sind, ist das Verdienst der Inszenierung Anselm Webers, die so sparsam ist, daß die Sprache genügend Raum hat, um Gegenstand zu werden. Und das Verdienst der hervorragenden Schauspielerinnen. Allen voran die brillante Eleonore Zetzsche: Wie sie an ihrem Taschentuch nestelt, ihre Pelzkappe bei Gefahr wie einen Sturzhelm zurechtrückt und mit Körper und Stimme mühelos all die Personen und Orte schafft, die nur in der Sprache existieren — das allein wäre den Abend wert. Auch Judith Engel, die zum zweiten Mal in Franfurt unter Anselm Weber spielt, zeigt, warum sie zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gewählt wurde: Von orgiastischer Verzückung bis zu kuhäugigem Kinderstaunen mit nach innen gedrehten Füßen gelingt ihr einfach alles.

Und was lernt uns das? „Menschen, die sich vom Hochamt abwenden, gehören in die Wurst.“ Das ist doch was. Taste drücken. Schneller Rücklauf. Löschen. Jörg Rheinländer

Werner Schwab: „Die Präsidentinnen“, Regie: Anselm Weber, Bühne: Manuel Fabritz. Mit Judith Engel, Eleonore Zetsche, Ingeborg Engelmann; nächste Aufführungen: 15., 21.10.