: Steinkühler auf schmalem Grat
Auf dem bevorstehenden IG-Metall-Kongreß wird sich die Gewerkschaftsspitze schwertun: Alternativkandidaten für den Hauptvorstand, Widersprüche zwischen Ost und West ■ Von Martin Kempe
Hamburg (taz) — „Ich will Alternativen aufzeigen“, sagt Uwe Schmidt, Bevollmächtigter der IG- Metall-Verwaltungsstelle in Emden, Nordfriesland, und damit meint er nicht zuletzt sich selbst. Denn der Gewerkschafter aus dem hohen Norden ist fest entschlossen, beim am Samstag beginnenden Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Metall in Hamburg gegen den derzeitigen Hauptkassierer Werner Schreiber anzutreten. Aber Alternativen zu Schreiber und allen anderen derzeit amtierenden Mitgliedern des Geschäftsführenden Hauptvorstandes der Industriegewerkschaft Metall soll es nach dem Votum der IGM-Spitze nicht geben. Zehn von elf Mitgliedern des gewerkschaftlichen Spitzengremiums wurden vom Vorstand aufs neue nominiert und sollen in Hamburg wiedergewählt werden. Nur auf den Posten des aus Altersgründen ausscheidenden Horst Klaus soll ein ostdeutscher Kollege nachrücken, der Dresdner Bezirkssekretär Joachim Töppel.
Alles spricht dafür, daß der Tagesordnungspunkt „Wahlen“ auf dem einwöchigen Gewerkschaftstag spannender wird, als es die Kongreßregie gerne hätte. Denn noch nie war der Andrang für einen Sitz im gewerkschaftlichen Spitzengremium so groß wie in diesem Jahr. Außer Uwe Schmidt haben noch drei weitere Gewerkschafter aus Ost und West ihre Kandidatur für den Geschäftsführenden Hauptvorstand angekündigt, ohne sich dafür den Segen von oben zu holen. Obwohl ihre Erfolgsaussichten gering sind, sind alle vier Kandidaturen Signale für ungelöste Spannungen und Konflikte innerhalb der mit über 3,6 Millionen Mitgliedern größten deutschen Gewerkschaftsorganisation.
Uwe Schmidt beispielsweise verbindet seine Kandidatur ausdrücklich mit einer harschen Kritik an dem IGM-Hauptkassierer Werner Schreiber, dem er organisatorischen Zentralismus und die Verschwendung von Mitgliedsbeiträgen vorwirft. Die Zentrale müsse sich mehr als Dienstleistungsunternehmen für die Ortsverwaltungen verstehen. Die mißglückte, 24 Millionen DM teure Anmietung eines Hochhauses in der Frankfurter Innenstadt für die Zeit des geplanten Neubaus der IGM-Zentrale am Stammsitz in der Wilhelm-Leuschner-Straße kreidet er Schreiber an. Aus Kostengründen müsse noch einmal über die Notwendigkeit des Neubaus nachgedacht werden.
Schmidt kann mit seiner Kritik auf Resonanz rechnen. Viele Funktionäre in den IGM-Ortsverwaltungen und Bezirken haben in den letzten Monaten zu spüren bekommen, daß auch die angeblich reiche IG Metall in den letzten Monaten auf Sparkurs umgeschaltet hat. Der Gewerkschaftsaufbau im Osten hat viel Geld gekostet. Und schon heute ist absehbar, daß die Mitgliederzahl in den östlichen Bundesländern (derzeit rund 800.000) mit dem Zusammenbruch der Industriestrukturen weiter schrumpfen wird. Zudem zahlen viele der nominellen Mitglieder lediglich den Arbeitslosenbeitrag von drei Mark. In dieser Situation ist der mögliche Verlust von über 20 Millionen Mark im Frankfurter Immobiliendschungel für die Mitglieder schwer zu verkraften.
Auch Otto König rechnet sich Chancen aus, trotz fehlender Unterstützung durch den Vorstand in das Spitzengremium der IG Metall einzurücken. König ist vor allem im Ruhrgebiet kein Unbekannter. Er ist der „Held von Hattingen“, der als IG-Metall-Chef in der Ruhrstadt der Volksbewegung gegen die Schließung des Hattinger Stahlwerks eine weithin vernehmliche Stimme gegeben hat. König, ein begabter Populist, der in der linken Sozialdemokratie des Ruhrgebiets seine politische Heimat hat, repräsentiert das Unbehagen eines Teils der westdeutschen IGM-Basis an dem drohenden Verlust des kämpferischen Profils der Gewerkschaft. Er will gegen den farblosen, für Bildungspolitik zuständigen Karl-Heinz Hiesinger antreten, um dem Verschwinden des Klassengegensatzes im Bildungswesen der Gewerkschaft entgegenzuarbeiten.
Auch in der dritten „unerwünschten“ Kandidatur drückt sich die Unzufriedenheit einer Mitgliedergruppe der Massenorganisation IG Metall aus. Auf ihrer letzten Ausländerkonferenz in Travemünde hatten die Delegierten von über 300.000 ausländischen Mitgliedern der Metallgewerkschaft bereits gefordert, auch in den Spitzengremien müsse die Wahl von Ausländern möglich sein. Der Türke Yilmaz Karahasan, Sekretär in der Frankfurter Zentrale, will nun Ernst machen. Es dürfte der IG Metall einiges Kopfzerbrechen bereiten, in Zeiten gesteigerter Ausländerfeindlichkeit einen ausländischen Kandidaten sang- und klanglos abzuschmettern.
Und schließlich der Osten: nur einer der elf Posten im Geschäftsführenden Hauptvorstand soll von einem Funktionär aus dem Osten besetzt werden, dem Dresdner Bezirkssekretär Joachim Töppel. Nun hat ein zweiter Kandidat aus Ostdeutschland seinen Anspruch angemeldet, der Betriebsratsvorsitzende des Brandenburger Stahlwerks, Wolfgang Orphal. Ob er gegen seinen ostdeutschen Kollegen antritt oder eines der jetzigen (westdeutschen) Vorstandsmitglieder den Sessel räumen soll, ist bisher nicht klar. Der Brandenburger Bezirk jedenfalls hat Orphals Kandidatur mit großer Mehrheit unterstützt, um die ostdeutschen Interessen in der Zentrale zu stärken. Das dies dringend nötig sei, fordern auch die Sprecher der ostdeutschen Betriebsräteinitiative, die sich von den Frankfurtern zu Unrecht in eine gewerkschaftsfeindliche Ecke gedrängt sehen.
Die Gratwanderung der Gewerkschaft zwischen ost- und westdeutschen Mitgliederinteressen ist in den letzten Monaten immer schwieriger geworden. Auch die IG Metall hatte einen derart flächendeckenden Zusammenbruch der Ostindustrie nicht erwartet, als sie die Tarifverträge über die Lohnanpassung bis 1994 abgeschlossen hat. Der Druck, zumindest zeitweilige Öffnungen im Interesse des Überlebens von bedrohten Firmen zuzulassen, ist größer geworden. Gleichzeitig hat die drohende Rezession im Westen die Verteilungsspielräume in Gesamtdeutschland eingeengt. IG- Metall-Chef Steinkühler weiß, daß dies nicht die Zeit für gewerkschaftliche Versprechungen ist.
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