Deutsche Zeitungsverleger in Angst vor Europa

■ Die Herren über das gedruckte Wort sehen vor allem Risiken für ihr Geschäft

Berlin (taz) — Die meisten Unternehmer in Deutschland freuen sich auf den europäischen Binnenmarkt: 350 Millionen (im Weltmaßstab) reiche KonsumentInnen, ein zusätzlicher Wachstumsschub von drei bis sechs Prozent, ein Rationalisierungspotential von geschätzten 200 Milliarden Mark bei trotzdem 1,7 Millionen neuen Arbeitsplätzen — rosiger kann, durch die Wirtschaftsführerbrille betrachtet, eine Zukunft gar nicht aussehen. Doch eine deutsche Branche betrachtet den europäischen Markt mit großer Skepsis: die Zeitungsverleger.

Auf ihrem Kongreß über Europa, der Dienstag abend in Berlin zu Ende ging, fiel den im Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) zusammengeschlossenen Herren über das gedruckte Wort vor allem Negatives zu Europa ein. Das begann bei der Initiative der EG-Kommission für ein umsatzschmälerndes Werbeverbot für Tabakwaren und hörte bei den Vorstellungen des Europaparlaments, EG-weite Standards für journalistische Berufsethik festzulegen, keinesfalls auf.

Die Europa-Abstinenz der deutschen Verleger scheint auf den ersten Blick verständlich: Kaum jemand glaubt ernsthaft daran, daß sich Zeitungen in nennenswerter Zahl supranational vermarkten lassen, allein schon wegen der Sprachbarrieren. Nach neueren Untersuchungen sind diese in Europa sogar noch höher als bislang angenommen. Zwar hat in Deutschland jeder zweite engliche Sprachkenntnisse erworben. Wenn man aber, wie kürzlich die Media-Marktforscher von „Lintas“, nachprüft, wer die wichtigste Fremdsprache wirklich beherrscht, bleiben in der alten Bundesrepublik gerade noch 15 Prozent der Bevölkerung übrig, die ohne Anstrengung englische Zeitungen lesen könnten. In den EG-Südländern liegt diese Quote unter sieben Prozent.

Die Vorteile des Binnenmarktes für deutsche Zeitungsproduzenten (Frauen kommen hier nicht vor, weil sie auf der Tagung nicht vorkamen) liegen also allenfalls im Werbemarkt: Wenn der Binnenmarkt zu mehr Wachstum führt, wächst auch das Werbeaufkommen und damit der Umsatz auch der Zeitungsverlage. Im vergangenen Jahr lag der Branchenumsatz (Vertrieb und Anzeigen) bei 13,9 Milliarden Mark. Noch immer sind die Tageszeitungen (Gesamtauflage: 24,17 Millionen Exemplare) die mit Abstand wichtigsten Werbemedien: 9,9 Milliarden Mark (oder 31 Prozent) kassierten sie von den Anzeigenkunden — das ist genausoviel Geld, wie in Fernsehen, Hörfunk, Publikumszeitschriften und Plakatwerbung zusammen floß.

Dennoch sehen die Verleger das Fernsehen als Hauptkonkurrenz. In den vergangenen Jahren haben sie kontinuierlich Marktanteile an die elektronischen Medien verloren, weil die Bundesdeutschen immer mehr fernsehen und weniger Zeitungen lesen. Trotzdem, so meinte der Unternehmensberater Jürgen Stockmann auf dem Kongreß, trügen die deutschen Verleger zum Rückgang ihres Werbe-Marktanteils bei — einfach durch Nichtstun.

Nach wie vor genießt nämlich die Tageszeitung als Medium das größte Vertrauen bei den KonsumentInnen. Die Verleger würden aber mit der Tatsache, daß 49 Prozent der VerbraucherInnen die Anzeigen in regionalen Abozeitungen glaubwürdig und informativ finden, kaum bei den Agenturen für sich werben — während die TV-Sender und Hochglanzmagazine sich sehr um die Verwalter der Werbeetats bemühten.

Auch bei den Markenartiklern müßten die Zeitungen eigentlich mehr Anzeigen einwerben können, so Stockmann. Der Anteil liege hierzulande bei mageren zehn Prozent, in den USA hingegen bei 20 Prozent. Überhaupt glaubt Stockmann, daß die Werbeaufwendungen in Deutschland pro Kopf der Bevölkerung durch den Binnenmarkt sich denen der Euro- Spitzenreiter angleichen werden, also auch die Zeitungsverleger den europaweiten Binnenmarkt eher als Chance denn als Risiko sehen sollten: In Dänemark werden pro Jahr und Kopf 264 US-Dollar in die Werbung gesteckt, in der Schweiz 209 Dollar, in Schweden 169 — in Deutschland aber bisher nur 93 Dollar. Donata Riedel