Die Schadhafte

■ Michael Pundt als Canettis „Ohrenzeuge“

In ein Panoptikum von exzentrischen Menschengestalten hat der Bremer Schauspieler Michael Pundt seine ZuschauerInnen in der GaDeWe am Mittwoch entführt. Der „Namenlecker“, der „Leichenschleicher“, die „Schadhafte“, die „Verblümte“ — alles Typen, die, selbst nahe am Wahnsinn, doch schließlich nur die Verrücktheit unserer MitbürgerInnen widerspiegeln.

Elias Canetti versammelt 50 kurze Prosa-Charakterstudien in seinem Buch „Der Ohrenzeuge“ — Michael Pundt erweckt sie in seinem einfühlsamen und unprätentiösen Spiel zum Leben. Mit allereinfachsten Mitteln: Der „Tränenwärmer“ sitzt mit geschlossenen Augen auf seinem Kinostuhl und ersehnt sich fremdes Unglück, um die Wohltat gratis rollender Tränen zu spüren. Den Höhepunkt erreicht er, wenn eine Träne es bis in den Halsausschnitt schafft. Der „Verlierer“ verliert absichtsvoll Kleinigkeiten aus Jacken und Hosentaschen und kann nur eines nicht ertragen: wenn ihm jemand hinterherläuft, um ihm das Verlorene wieder aufzudrängen. Für die „Müde“ schließlich, die der theatralischen Lesung den Titel gab, verwandelt sich der jungenhafte Michael Pundt höchst glaubhaft in eine mürrische alte Kneipenwirtin, die keift und keift und davon müde ist, so müde.

„Es waren eher äußere Dinge, die Kürze, das Szenische, was mich verlockte“, sagt Pundt. „Erst beim Einstudieren merkte ich, wie genau und lebendig diese Prosa ist, wie sehr jedes Wort stimmt.“

Pundt, Sprecher bei Radio Bremen, Schauspieler im „Jungen Theater“ und zwischenzeitlich mit dem Stück „Butzbacher und Brommelmeier“ auf Tournee, wird „Die Müde“ weiterhin in seinem Programm haben. Vielleicht schon Ende Oktober wird ein weiteres Publikum die Gelegenheit haben, seine Vorstellung höchst aufgeweckt zu verlassen. Cornelia Kurth