: »Wir wollen die Mauer wieder«
■ »Nationalkomitee Freie DDR« feierte 43. Gründungstag der DDR/ Mitglieder der PDS und linker Splittergruppen kamen aus Leipzig, Heidelberg und Bonn angereist
Berlin. »Bürger der DDR: der Zusammenbruch der DDR war keine Krise des Sozialismus, sondern Ausdruck der Krise des Kapitals. Zwei Jahre Besetzung haben aus der DDR einen Trümmerhaufen gemacht. Wir sind keine Deutschen, sondern Bürger der DDR.« Das Klatschen der ungefähr vierzig Leute, die sich am Dienstag abend auf dem Straußberger Platz in Ost-Berlin versammelt haben, um den »43. Gründungstag der DDR« zu feiern, verhallt auf dem riesigen Platz. Treu sind sie dem Aufruf des am 7. Oktober 1991 in Berlin gegründeten »Nationalkomitees Freie DDR« (NKFDDR) — dem »Organ der fortschrittlichen Kräfte der DDR« — gefolgt und haben für den »Widerstandstag« DDR-Fahnen und Fackeln mitgebracht. Auf Transparente gemalte Forderungen wie »Wir wollen die Mauer wieder haben, drei Meter höher«, »Freiheit für Heinz Keßler und Solidarität mit Erich Honecker« ergänzen das dreizehn Punkte umfassende Programm des NKFDDR, das unter anderem den »Wiederaufbau der Betriebskampfgruppen«, den »DDR-Austritt aus der BRD« und die »entschädigungslose Enteignung zunächst aller Groß- und Mittelbetriebe« fordert. Mit »Rot Front«- Rufen und hochgestreckten geballten Fäusten endet die Kundgebung. Knapp zwanzig Leute machen sich auf in den »Linkstreff« in der Weddingstraße. Zur Einstimmung auf das Beisammensein, zu dem Mitglieder der DKP, PDS und FAU/AP (Freie Arbeiter Union/Anarchistische Partei) aus Ost- und West-Berlin, Leipzig, Bonn und Heidelberg gekommen sind, wird »Auf, auf zum Kampf« angestimmt. Alle gehören dem Unterstützerkreis des NKFDDR an, das rund 400 Mitglieder umfassen soll. Bei Rotkäppchensekt und DDR- Papierfähnchen, Urlaubserzählungen aus Nordkorea und Geruch nach Schweiß und »Cabinet würzig« soll angeblich »keine DDR- Nostalgie heraufbeschwört werden.«
Gerd aus Friedrichshain, PDS- Mitglied und seit zwei Jahren arbeitslos, hat als ehemaliger Reisekader im »Kannibalismus« (sprich Kapitalismus) »Eindrücke gesammelt, die durch das Werbefernsehen nicht vermittelt wurden«. Obwohl er DDR-Nostalgie »nicht unbedingt für erforderlich hält« und die »Abschottung der ehemaligen DDR« kritisiert, ist »das Hängen am Alten« eben in ihm drin. Der ehemalige Computerfachmann, der nach teilweise nur Stunden währenden Aufenthalten in West-Berlin die wirtschaftliche Situation in Sofortberichten einschätzen mußte, hat »sich persönlich nichts vorzuwerfen«. Seine Freundin, DKP- Mitglied aus Schleswig-Holstein, schätzt »die menschlichen Beziehungen im Osten«.
Jens aus Leipzig, Mitinitiator des NKFDDR und Mitglied des »Solidaritätskomitees Freiheit für Erich Honecker und alle verfolgten Kommunisten«, begann 1987 Wissenschaftlichen Kommunismus zu studieren, und weil er mit der »Inhaltsveränderung« des Studiums nach der Wende nicht einverstanden war, brach er sein Studium im Mai ab und arbeitet jetzt als Parkplatzwächter.
Als »negatives Opfer der Wende« und »prinzipieller Gegner der Einheit im politischen Sinn« ist er extra nach Berlin gekommen, um »öffentlich zu zeigen, daß es Leute gibt, die sich ins imperialistische Reich wagen und sagen, daß es die DDR gab«. Der gescheiterte Marxismus-Leninismus-Lehrer, der sich für »seine SED- und Stasi- Vergangenheit nicht schämt«, zeigt nach einigen Gläsern Sekt und Bier stolz sein verschwitztes T- Shirt mit DDR-Emblem. Die »historische Mission« des NKFDDR, so lallt er kurz vor Mitternacht, ist ein »sozialistisches Deutschland mit dem Namen DDR«. Barbara Bollwahn
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