Die Last mit der Luft: Volksseuche Meteorismus Von Michaela Schießl

Jeder hat ihn schon mindestens zehnmal gesehen, zwanzigmal darüber philosophiert und kann synchron mitsprechen: Der Film „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ ist legendär. In der Tat raubt die Geschichte des liebenden Ehepaares Liz Taylor und Richard Burton den Nerv. Ein entscheidendes, einzigartiges und bislang völlig mißachtetes Phänomen jedoch geht kläglich unter in all dem Gezänk: Der erste Fall von Meteorismus in der Geschichte der Filmkunst.

Wie ein Geistesblitz fiel mir gestern die entscheidende Szene wieder ein. Alles begann damit, daß ich in der Arztpraxis saß und der Diagnose lauschte. „Sie leiden unter Meteorismus“, sagte meine Hypochonder-erprobte Internistin, wohlweislich, daß eine Krankheit um so ernster ist, je exotischer sie heißt. „Meteorismus“, flüsterte ich glücklich.

Das klingt fremd, geheimnisvoll, schlimm, gewaltig. Vielleicht überdimensionale Steine, in der Galle, Niere, Bauchspeicheldrüse. Oder eine Verdreifachung des Lungenvolumens. Der erste Schub von Größenwahn? Oder — Himmel hilf — Riesenwuchs? Wasserkopf? Mondgesicht? Verfangen sich kosmische Funksprüche fremder Welten in meiner unschuldigen Leber? Der Hallische Komet auf dem Weg in die Blutbahn? Gefaßt blicke ich die Ärztin an, in Erwartung der alles entscheidenden Worte, ihrem Urteil über Tod oder Leben. Sie senkte den Kopf zu Boden, unfähig, mir in die Augen zu blicken. Dann bricht es heraus aus ihr, nur ein Wort. „Blähungen“.

Die ignorante Diagnose trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. „Das kann es nicht sein, bestimmt nicht, mein Bauch, so groß, so schmerzhaft angeschwollen, dauernd, sobald ich esse, ach, eigentlich schon, wenn ich ans Essen denke, psychosomatisch, Streß...“. Das Luder bleibt stur. „Sie leiden unter einem Blähbauch. Das haben viele Menschen.“ Auch das noch. Ein Allerweltssyndrom. „Ihre Darmwand atmet die Luft nicht ab. Sie schwellen gewaltig auf.“ Da war es, das Stichwort, das mich und meine geheimnisvolle Krankheit in die Nähe von Liz Taylor und Richard Burton rückt: Aufschwellen. „Erst ist sie aufgeschwollen. Dann mußte ich sie heiraten. Danach ist sie wieder abgeschwollen“, erzählte im Film ein Meteorismus-Opfer dem Ehe- erfahrenen Richard Burton. Da haben wirs. Meteorismus ist durch seine Scheinheiligkeit so gefährlich. Eine subtile Krankheit, voller Boshaftigkeit und Tücke. Ich muß aufpassen.

Wirklich immun gegen das Volksleiden, so sagt meine Ärztin, ist nur eine einzige Berufsgruppe: Politiker. Der Organismus dieser Spezies hat das Problem der meist durch Gummibärchen und Kohl hervorgerufenen Beschwerden anders gelöst. Da sie den ganzen Tag auf dem Haupt-Regulierungsventil sitzen, muß die heiße Luft auf anderem Wege entweichen. Das Gas bricht sich Bahn vom Politikerdarm in die oberen Politikergefilde, wo es auf natürliche Weise — meist durch den Mund — entweicht. Eigentümlicherweise scheint dieser peinliche Vorgang keinem der Betroffenen wirklich unangenehm zu sein. Wohl, weil ohnehin keiner auf die Absonderungen achtet. Denn, ein Trost, verbale Blähung stinken nicht.