: Alptraum Kindheit
■ „Zur Hölle, Mrs. Love!“ — von Juan Jose Campanella
Wenn je ein Film das Prädikat „düster“ verdient hat, dann das Regiedebüt des 32jährigen Argentiniers Juan Jose Campanella. In „Zur Hölle, Mrs. Love!“ (The Boy Who Cried Bitch) gibt es für den Zuschauer keine positive Identifikationsfigur, statt dessen wird er gezwungen, sich mit menschlichen Monstern in allen Gewichts- und Altersklassen auseinanderzusetzen. Dabei kommen Gefühle wie Mitleid oder Verständnis zwar manchmal auf, werden von Campanella aber gleich wieder gnadenlos abgetötet. So kann man anfangs Candice Love (Karen Young) noch bedauern, als sie einen neuen Freund mit nach Hause bringt und die beiden im Wohnzimmer der alleinerziehenden Mutter von ihren drei Jungs überfallen werden. Die Bengel schmeißen mit Blumenerde und beschimpfen ihre Mama als Hure, Schlampe und „Uterussin“. Der Freund verdrückt sich schleunigst. Mrs. Love, nervös und unselbständig, steht den Angriffen ihrer Brut hilflos gegenüber. Ziemlich schnell wird klar, wie diese Kinder zu Terror-Kröten mutieren konnten.
Besonders der älteste Love- Sproß, der 12jährige Dan (sehr eindringlich und überzeugend gespielt von Harley Cross), scheint sich nur in einer Mischung aus Einsamkeit und Haß durch sein junges Leben zu bewegen.
Mitten in der Nacht erscheint Dan mit einer Axt bewaffnet in Candice' Schlafzimmer und schreit sie zusammen. Die verkorkste Mutter, sie hat Geld, schiebt ihn in ein Internat, und als das nichts hilft in eine schicke private psychiatrische Klinik ab.
Die teuren Ärzte setzen ihr ganzes angelerntes entwicklungspsychologisches Fachwissen ein, haben aber eigentlich nur den guten Ruf ihrer Einrichtung und damit ihr Bankkonto im Kopf. Als alle Tests und Therapieversuche bei Dan versagen, wird seine Mutter aufgefordert, ihn schleunigst abzuholen — Mißerfolge können sich die Seelenklempner nun wirklich nicht leisten. Also ab in eine neue weiß gekachelte Angelegenheit. Endstation Ruhezelle. Dan wird immer aggressiver und gewalttätiger. Erneuter Rauswurf. Mrs. Love ist schließlich gezwungen, ihren Sohn wieder zu sich zu nehmen. Es kommt zur Katastrophe...
„Lichtjahre entfernt von der Kindheit“ steht auf dem Filmplakat, und das ist Danny Boy. Sein Leben besteht nicht aus Video- Spielen, Geburtstagspartys und einer liebevollen Erziehung. Dan wurde in einen Alptraum hineingeboren, und er wird niemals aufwachen. „Zur Hölle, Mrs. Love!“ ist absolut unbequem. Niemand wird entspannt aus dem Kino kommen und fröhlich ein Bier trinken gehen. Denn da ist dieser bittere, fiese Nachgeschmack — aber gerade der macht den Film sehenswert. Karl Wegmann
Juan Jose Campanella: „Zur Hölle, Mrs. Love!“, mit Harley Cross, Karen Young, Gene Canfield, Moira Kelly u.a.; USA 1990; 105 Min.
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