GUS-Gipfel unter dem Tienschan

Präsidenten der GUS müssen entscheiden, ob sie weitermachen wollen/ Aserbaidschan sagt schon im Vorfeld ab/ Was geschieht mit dem Nuklearpotential?/  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Zum sechsten Mal treffen sich heute die Präsidenten der GUS- Staaten seit Zusammenbruch der UdSSR zu einem Gipfelgespräch. Diesmal findet es in Bischkek statt, der Hauptstadt des unter dem Tienschan-Gebirge gelegenen mittelasiatischen Landes Kyrgystan. Hatten die vorangegangen Zusammenkünfte wenig Greifbares erbracht, machten sie doch eins deutlich: Das tiefe Mißtrauen der ehemaligen Sowjetrepubliken untereinander. Man hielt sich gegenseitig Versäumnisse vor. Um über eine zukünftige Kooperation nachzudenken, reichte die Zeit nicht.

Diesem Mangel soll nun in Bischkek Abhilfe geschafft werden. So jedenfalls ist die Initiative des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew zu werten, der einen umfassenden Maßnahmenkatalog mit nach Bischkek brachte. Bislang, so klagte er, sei die GUS noch nicht einmal aus den Startlöchern gekommen. Sein Vorschlag: neben der Einrichtung übergreifender administrativer Strukturen soll auch die Wirtschaftspolitik und -gesetzgebung koordiniert werden. Dabei geht es ihm im wesentlichen auch um die Erhaltung einer einheitlichen Rubelzone. Staaten, die eine eigene Währung vorziehen, würden automatisch in eine zweite Gruppe der GUS-Staaten fallen.

Doch die Bedenken gegen jegliche Vereinheitlichung und Zentralisierung der GUS ließen nicht auf sich warten. Die Regierung der Ukraine, die zu Hause momentan in arge Bedrängnis gerät, lehnte postwendend ab. Rußlands Präsident Jelzin hat bislang das Schicksal der GUS wiederholt von der Bereitschaft der Ukraine abhängig gemacht, in dem Verbund weiter mitzuwirken. Allmählich scheint Jelzin jedoch den Gedanken eines zweigliedrigen Staatensystems nicht mehr rundheraus zu verwerfen. Auch der ressourcenreiche mittelasiatische Staat Turkmenistan wehrte sich gegen die Wiedereinrichtung zentraler Mechanismen. Der nördliche Nachbar Usbekistan zeigte ebenfalls kein Interesse.

In Aserbaidschan, das zu den elf Unterzeichnerstaaten des Commonwealth zählt, stimmte das Parlament am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit gegen den Beitritt. Der Krieg mit Armenien, ebenfalls Mitglied der GUS, hat dafür den Ausschlag gegeben. Der neue Präsident Abulfas Elchibey hatte sich schon immer als kompromißloser Gegner eines Zusammenschlusses gezeigt. Er sagte den Parlamentariern, solange sich Aserbaidschan mit einem anderen GUS-Staat im Krieg befände, sei ein Beitritt ausgeschlossen.

Wenig Hoffnungen verbreitete auch Gastgeber Askar Akajew, der Präsident Kyrgystans. Er bewertet die Chancen, eine gemeinsame GUS-Friedenstruppe in Tadschikistan einzusetzen, als ziemlich niedrig. Das gegenseitige Mißtrauen sei zu groß. Schon lange wuchsen die Spannungen zwischen dem vom Bürgerkrieg geschüttelten Tadschikistan und Usbekistan. Anlaß hierfür war die Behandlung der jeweiligen nationalen Minderheiten.

Wie wird es in den Krisengebieten weitergehen? Diese Frage steht ganz oben auf der Tagesordnung. Der Oberkommandierende der GUS-Truppen, Jewgenij Schaposchnikow, meinte dazu, früher oder später würden die einzelnen Staaten die Notwendigkeit erkennen, eine gemeinsame Friedenstruppe ins Leben zu rufen. In Bischkek ist damit jedoch nicht zu rechnen.

Ebenfalls neu geklärt werden muß die Handhabung des Oberbefehls über die Nuklearwaffen. Der Russe Schapaschnikow plädiert dafür, die Übergabe der Nuklearwaffen an Rußland zu beschleunigen. Ursprünglich sollte das erst 1994 geschehen. Die Ukraine, Weißrußland und Kasachstan hatten sich darüber verständigt, Rußland die letzte Kontrolle über das Nukleararsenal einzuräumen — allerdings verknüpften sie dies mit der Bedingung, daß sie im Ernstfall konsultiert werden.

In der vergangenen Woche meldete Kiew, es habe die administrative Kontrolle über das in der Ukraine befindliche Potential wieder übernommen. Die Regierung in Kiew will auf eine gemeinsame Kontrolle nicht verzichten. Schon auf dem letzten Gipfel wurde dieses Problem wegen seines potentiellen Zündstoffes zwischen Rußland und der Ukraine von der Tagesordnung gestrichen.

Die Konflikte werden sich auf diesem Gipfel nicht beseitigen lassen. Dennoch wird Bischkek Klarheit über eine Grundfrage bringen: Wer hegt überhaupt noch ein Interesse an der Fortexistenz der GUS?