Monopoly in den Großstädten

Umwandlung von Altbau-Mietwohnungen in Eigentumswohnungen/ Mieterorganisationen warnen vor Spekulationswelle nach Karlsruher Urteil/ Kriminelle Methoden der Immobilienhaie  ■ Von Uwe Rada

Berlin (taz) — Daß die Bonner Wohnungspolitik alles andere als mieterfreundlich ist, läßt sich kaum leugnen. Pikant ist allerdings, wenn die zuständige Ministerin selbst zu spekulieren beginnt. Irmgard Schwaetzer, Besitzerin einer 83 Quadratmeter großen Wohnung auf der Bonner Hardthöhe, überraschte, wie erst kürzlich bekannt wurde, ihren Mieter Wolfgang B. im September 1990 mit einer Eigenbedarfskündigung. Doch statt selbst einzuziehen, suchte die Ministerin einen Käufer und der wiederum einen neuen Mieter.Wolfgang B. hatte das Nachsehen.

Über die Hälfte aller Eigenbedarfskündigungen ist vorgetäuscht. Das ist die übereinstimmende Erfahrung des Deutschen Mieterbundes und der Mietervereine. Allein in West-Berlin hat sich die Zahl der Eigenbedarfskündigungen seit 1989 bei den bis dahin umgewandelten 90.000 Wohnungen mit 10.000 Kündigungen jährlich mehr als verdreifacht. Im selben Jahr ging die Zahl der in Eigentum umgewandelten Mietwohnungen allerdings deutlich zurück. Die sogenannten Abgeschlossenheitsbescheinigungen, die Voraussetzung für einen Eintrag ins Grundbuch sind, wurden von den Kommunen nicht mehr ohne weiteres erteilt. Dafür sorgte ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, nach dem diese Bescheinigungen an die heute gültigen Bauvorschriften, insbesondere im Bereich des Schall- und Brandschutzes geknüpft wurden. Vor diesem Urteil wurden jährlich 4.600 Wohnungen umgewandelt, im Jahr danach waren es nur noch 1.679.

Doch die Ruhe erwies sich als trügerisch. Der Gemeinsame Senat der Obersten Bundesgerichte in Karlruhe hob am 30. Juni dieses Jahres das Urteil auf. Seitdem warnen die Mieterorganisationen vor einer noch nicht dagewesenen Spekulationswelle. Auch Berlins Bausenator Nagel (SPD) sieht „dem schwunghaften Handel mit Gebrauchtwohnungen Tür und Tor geöffnet“.

Die Zahlen sprechen für sich. Bis Ende des kommenden Jahres rechnet der Direktor des Mieterbundes, Helmut Schlich, mit 200.000 Wohnungsumwandlungen. Vor allem in den Ballungszentren seien Hunderttausende von Mietern von Kündigungen bedroht, sagte Achim Woens von der Hamburger Initiative „Mieter helfen Mietern“ gestern auf einer Pressekonferenz mit dem Deutschen Mieterbund in Bonn. In München liegen seit dem Karlsruher Urteil 3.400 Anträge zur Umwandlung von Altbau-Mietwohnungen in Eigentumswohnungen vor. Zum Vergleich: In den letzten Jahren wurden lediglich 900 Wohnungen pro Jahr umgewandelt. In Hamburg sieht es nicht anders aus. Woens geht für die Zukunft von etwa 10.000 Umwandlungen pro Jahr in der Hansestadt aus. In Berlin rechnet der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Hartmann Vetter, mit einem Umwandlungspotential von insgesamt 200.000 Wohnungen und einer möglichen Vertreibung von 300.000 MieterInnen. Binnen weniger Wochen sind 5.000 entsprechende Anträge gestellt worden, so Vetter. Bisher seien es im Jahresdurchschnitt 6.000 bis 7.000 gewesen. Die Reaktion der Kommunen auf die jüngste Antragswelle ist recht unterschiedlich. Während in München oder Hamburg Abgeschlossenheitsbescheinigungen solange nicht erteilt werden, bis die schriftliche Urteilsbegründung aus Karlsruhe vorliegt, wies Berlins Bausenator Nagel die Bezirksämter an, „wie vor 1989 zu entscheiden“. Für Gerhard Eichmann von der Berliner MieterGemeinschaft ein „Akt vorauseilenden Gehorsams“.

„Für die Eigentumsbildung gibt die Bundesregierung mehr Geld aus als für den sozialen Wohnungsbau“, ärgert sich Vetter. „Deshalb muß die steuerliche Förderung für den Erwerb von Gebrauchtwohnungen gestrichen werden. Schließlich wird mit diesem Geld nicht eine Wohnung neu gebaut.“ Scharfe Kritik übte auch Mieterbund-Direktor Schlich an Wohnungsbauministerin Schwaetzer: Indem sie ein gesetzliches Umwandlungsverbot ablehne, mache sie sich zur „Steigbügelhalterin der Spekulanten“. „Für sie lohnt sich das miese Geschäft, Mieter aus deren Wohnungen zu verdrängen und Luxussanierungen vorzunehmen“.

Doch scheint die Eigenbedarfskündigung eine eher harmlose Variante der Mietervertreibung zu sein. Denn, so der Deutsche Mieterbund, üben Immobilienhaie mehr und mehr Druck auf Mieter aus, um die Umwandlung von Altbau-Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zu erreichen. Sanierungsarbeiten werden begonnen, um „Mieter mit Preßlufthämmern fertig zu machen“, bisweilen werde auch mit „regelrecht kriminellen Methoden“ vorgegangen. So seien in einzelnen Fällen „Schlägertrupps engagiert worden, um Mieter einzuschüchtern oder rauszuprügeln“, sagte Schlich. Auch Ungeziefer wie Flöhe oder Ratten werde dazu eingesetzt, Mieter rauszuekeln. Um diesen Praktiken besser entgegentreten zu können, rät der Mieterbund den Betroffenen, sich zu Hausinitiativen zusammenzuschließen und gemeinsam rechtliche Schritte zu prüfen.

Die Zeit drängt. „Wenn man sich in Bonn lediglich auf eine Verlängerung der Kündigungsfrist auf sieben Jahre verständigt, dann ist zumindest für Berlin nichts gewonnen“, fürchtet Gerhard Eichmann. „Dann kaufen sich die Bonner Beamten und Daimler-Manager im nächsten Jahr eine vermietete Eigentumswohnung und melden im Jahr 2000 Eigenbedarf an.“