Das „Lager Marzahn“

■ Der Beginn des NS-Völkermords an Cinti und Roma: ein vergessenes Kapitel

Mängel in der Aufarbeitung der Geschichte des nationalsozialistischen Völkermordes an einer halben Million Cinti und Roma hat der Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, Wolfgang Benz, beklagt. Das „Lager Marzahn“ in Berlin, ehemals Sammelstelle der rassisch verfolgten Minderheit, sei heute fast vergessen. Benz bezeichnete das Lager als „erste Station auf dem Weg zum Völkermord“. Im Sommer 1936, nachdem ein Erlaß „Zur Bekämpfung der Zigeunerplage“ herausgegeben worden war, wurden etwa 600 Cinti und Roma „am hellichten Tage“ mit ihren Wohnwagen in das Lager verschleppt. Anders als bei der Verfolgung von Juden sei diese „Zusammenziehung“ der „ernsten Gefahr für die Volksgesundheit“ bei den Bürgern auf Beifall gestoßen.

Die Lebensbedingungen auf dem „Zigeunerrastplatz“, von dem der Großteil der zwangsweise angesiedelten Menschen spätestens im März 1943 in Konzentrations- und Vernichtungslager der Ostgebiete „überstellt“ worden war, beschrieb Benz als katastrophal. Es habe Hunger geherrscht, tausend Menschen hätten sich zeitweise mit zwei Toilettenanlagen begnügen müssen. Zudem seien die Cinti und Roma ohne „eine gültige Rechtsgrundlage“ in das Lager überführt worden, so daß den Opfern „aus formalen und juristischen Gründen“ Entschädigungen heute oftmals versagt blieben, kritisierte der Historiker.

Ergänzt wurde Benz' Beitrag für die „Musik- und Kulturtage der Cinti und Roma 1992“ am Mittwoch abend im Berliner Lokal „Podewil“ von dem Zeitzeugen und heutigen Vorsitzenden der „Cinti Union Berlin“, Otto Rosenberg. Er war mit neun Jahren Insasse in Marzahn, überlebte neben anderen Konzentrationslagern auch Auschwitz und verlor Eltern und Geschwister. Benz und Rosenberg betonten, daß Vorurteile über „asoziale und kriminelle Eigenschaften“ dieser Volksgruppe weiterlebten. Rosenberg, der im „Zigeunerlager“ Auschwitz-Birkenau seinen Namen gegen die Nummer Z6084 tauschen mußte, appellierte an die Zuhörer, nicht wegzusehen, wenn heute Menschen zu Opfern des neuen Fremdenhasses würden. dpa