Shakespeare und Lorca auf Romanes

■ Beim Roma-Theater Pralipe aus Skopje, das auf dem Berli- ner Festival gastierte, versteht man alles, wenn auch kein Wort

Wenn sie Shakespeares „Othello“ spielen, treten sie erst vor das Publikum und schminken sich weiß, alle — außer Othello und Jago. Othello behält seine dunkle Hautfarbe, Jago dagegen schminkt sich kurz darauf doch noch um auf weiß. Dann spielen sie die Geschichte vom stolzen Emigranten ohne Heimat und seinem angepaßten, verräterischen Freund.

Assimilation oder Isolation — für Völker ohne Staat, die über viele Länder verstreut wohnten, war es stets die einzige Alternative. Dem Roma-Theater Pralipe gelingt es, diesem Dilemma zu entkommen. Sein Spiel ist weit entfernt von aller Zigeuner-Folklore und unternimmt auch nicht den aussichtslosen Versuch, ihr die reine, echte Roma-Kultur entgegenzustellen. Pralipe will die Identität der Roma behaupten in der Auseinandersetzung mit der sie umgebenden europäischen Kultur.

Rahim Burhan, ein theaterbegeisterter junger Schuster aus Skopje in Makedonien, gründete 1971 in der Roma-Vorstadt Schutka mit Oberschülern eine Theatergruppe, nachdem er in einem türkischen Ensemble als Roma Schwierigkeiten bekommen hatte. Er nannte sie „Pralipe“, Bruderschaft. Schon bald hatte das Ensemble großen Erfolg auf Festivals in Jugoslawien und in ganz Europa. Aber zwischen Albanern, Türken, Griechen, Bulgaren, Serben war im „Theater der Nationalitäten“ in Skopje kein Platz mehr für ein Roma-Theater. Die Truppe stand 1990 vor der Auflösung.

In Mülheim an der Ruhr gibt es seit 1981 das Theater an der Ruhr, geleitet von Roberto Ciulli, der die festgerosteten Strukturen des germanischen Kunsttempels renovieren möchte. Ein multikulturelles Theater ist sein Ziel, keine Vermischung verschiedener Nationalitäten, sondern ein Modell, in dem mehrere Gruppen verschiedener Nationalitäten unter einem Dach arbeiten. Durch die engen Kontakte zu Jugoslawien wurde Ciulli auf Pralipe aufmerksam. Als die Lage in Skopje aussichtslos wurde, entschloß man sich 1990, das Roma-Theater nach Mülheim zu holen. So wurde es zum Bestandteil des ersten multikulturellen Stadttheaters in Deutschland, des Theaters an der Ruhr.

Die Finanzierung wurde dem nordrhein-westfälischen Kultusministerium abgerungen. Zunächst gab es nur einen mageren Zuschuß von 50.000 Mark, doch dann wurde die Finanzierung mit jährlich 400.000 Mark für zwei Jahre sichergestellt. So konnte das Roma-Theater bisher vier Inszenierungen in Mülheim herausbringen. Die Stücke von Pralipe gehören zum internationalen Repertoire: Garcia Lorca, Peter Weiss, Shakespeare, Aischylos und Sophokles. Aber die Sprache der Inszenierung ist Romanes. Die Schwierigkeit, häufig vor einem Publikum zu spielen, das die Sprache nicht versteht, wird in bildkräftigen Inszenierungen wie „Bluthochzeit“ und „Othello“ spielend gelöst. „Das Theater hat seine eigene Sprache, bei der gibt es keine Verständigungsschwierigkeiten“, sagt Rahim Burhan.

Daß die Roma ein Theater brauchen, hat sich in Skopje gezeigt, daß die Deutschen ein Roma-Theater brauchen, ist nun auch Fakt. Gerhard Preußer