Mit Theater und Musik gegen das alte Stigma

■ Aus Orient und Okzident sind Roma und Cinti nach Berlin gekommen, um im Rahmen der "Musik- und Kulturtage" (1. bis 11. Oktober) ihre Kultur vorzustellen - und auf ihre Diskriminierung...

Mit Theater und Musik gegen das alte Stigma

In Berlin-Mitte surrten vergangene Woche Dutzende von Fernsehkameras. Eröffnet wurde ein in Deutschland nie gesehenes, nie gehörtes Festival — und dies mitten in einer Pogromstimmung gegen Asylbewerber, die zum großen Teil aus Rumänien kommen. Seit dem 1.Oktober und noch bis Sonntag findet in der Stadt das „Internationale Kulturfestival der Roma und Cinti“ statt. Aus ganz Europa, aus Pakistan, der Türkei, Jordanien und Ägypten sind die Gruppen gekommen, um ihre jahrtausendealte Kultur vorzustellen, um Vorurteile abzubauen, für Toleranz und Menschlichkeit zu werben und um die etwa 60.000 deutschen Roma und Cinti in ihrem bislang vergeblichen Kampf um Anerkennung als Minderheit zu unterstützen.

Denn bis heute wird diese Volksgruppe diskriminiert, in Deutschland wie in ganz Europa. Während das antisemitische Vorurteil und die pauschale Verunglimpfung „Alle Juden sind Wucherer“ mit Hinweis auf die deutsche Geschichte verboten ist, erlaubt das deutsche Strafgesetzbuch nach wie vor die kollektive Hetze „Alle Zigeuner sind asozial“ — dies, obwohl in den Konzentrationslagern der Nazis über eine halbe Million Roma und Cinti allein ihrer Rassenzugehörigkeit wegen ermordet wurden. Die rassistische Dimension dieses Völkermordes akzeptierte der Bundesgerichtshof erst 1964; bis dahin wurden Wiedergutmachungszahlungen mit dem Hinweis auf einen Runderlaß aus dem Jahre 1950 verweigert: „Die Prüfung der Wiedergutmachungsberechtigung der Zigeuner- und Zigeunermischlinge“, hieß es im besten Nazi-Jargon, „...hat zu dem Ergebnis geführt, daß der genannte Personenkreis ... wegen seiner asozialen und kriminellen Haltung verfolgt und inhaftiert worden ist.“

Bundesinnenminister Seiters führt diese unselige Denktradition — „Zigeuner“ sind asozial und keine politisch oder rassisch Verfolgten — bis ins Jahr 1992 weiter. Am 25.September unterzeichnete er in Bukarest ein Regierungsabkommen über die „Rückführung abgelehnter rumänischer Asylbewerber“. Ab 1.November droht über 43.000 rumänischen Cinti und Roma die Abschiebung in ein Land, in dem Pogrome an der Tagesordnung sind. Das Menschenrechtskomitee Rumänien legte kürzlich eine Liste vor, wonach seit Ceausescus Sturz 1989 20 Dörfer gebrandschatzt und bis heute kein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wurde. Als Gegenleistung für Rumäniens Zusage, die Repatriierten aufzunehmen, spuckt Bonn 30 Millionen Mark „Wiedereingliederungshilfe“ aus. Die Vertreter von Roma und Cinti in Deutschland protestierten bisher vergeblich gegen diesen Deal. Die Cinti und Roma werden zu „Sündenböcken für die ungelösten Probleme im Osten“ gemacht, schrieb der Zentralratsvorsitzende Romani Rose an Kanzler Kohl.

So ist das Berliner Festival unvermutet zu einem Politikum geworden. Als die Veranstalter das Festival organisierten, ahnte noch niemand, daß die Roma bald aus Deutschland abgeschoben würden und der Mob unter Beifall von Zuschauern in Rostock und Wismar Roma und Cinti durch die Straßen jagen sollten. „Wäre ich in Rostock gewesen“, schrieb eine Leserin der Wochenpost, „hätte ich auch Beifall geklatscht. Denn die ,armen Asylsuchenden‘ sind doch bloß Scharen von Zigeunern, die unsere Städte bevölkern. Kein Land lädt sich dieses Volk auf — nur wir Deutschen. Solange sie vor unserer Haustür kampieren, werde ich sie bekämpfen.“

Weil viele so denken, lieferten die Veranstalter einen bitteren Tribut an die gewalttätige Zeit. Nach Rostock und anderswo fürchteten sich die Musiker, in Brandenburg aufzutreten, zumal das Innenministerium ihren Schutz nicht garantieren konnte. Die geplanten Konzerte in Cottbus, Eberswalde und Frankfurt/Oder wurden abgesagt, obwohl es gerade, wie die Veranstalter bedauerten, im Osten Deutschlands wichtig gewesen wäre, „den Dialog zu suchen“. Marianne Birthler, brandenburgische Bildungsministerin (Bündnis 90/Grüne), nutzte in ihrer Eröffnungsrede deshalb auch die Gelegenheit, ihre Kollegen hart zu rügen. Durch die gegenwärtige Debatte über die Einschränkung des Asylrechts würden jahrhundertealte Ressentiments gegen Roma und Cinti mobilisiert, den „Gewalttätern werde dadurch das Gefühl gegeben, sie seien auf dem richtigen Weg“. Auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Diepgen, ebenso wie Brandenburgs Ministerpräsident Stolpe Schirmherr der Veranstaltung, sprach von „Vorurteilen“, die es abzubauen gälte. Auf die Demontage des Asylrechts und auf das Bukarester Abkommen ging Diepgen allerdings mit keinem Wort ein. Ungerührt nahm er auch die Rede des Vorsitzenden der Berliner Cinti-Union, Otto Rosenberg hin, der bitter kritisierte, daß selbst die leidvolle Vergangenheit vergessen gemacht werden soll. Unfaßbar sei es, daß Bund und Land den allein aus rassischen Gründen ermordeten Juden mit einem Mahnmal gedenken wollten, die ebenfalls allein ihrer Rasse wegen ermordeten Roma und Cinti aber ausklammerten.

Der österreichische Maler Karl Stojka ist so jemand, der gerade noch davongekommen ist. „In Auschwitz haben sie mir meinen Namen genommen und den neuen in den Arm tätowiert.“ Mit „Z5742“ hat er auch seine Bilder signiert, die noch bis Mitte Oktober in Berlin zu sehen sind. „Ein Kind aus Birkenau“ heißt die Ausstellung, die vordem im Holocaust Memorial Council von Washington gezeigt wurde. Ihm und all den anderen Roma und Cinti, die den Holocaust überlebt haben und die ihre Musik, die Traditionen und die aus dem Sanskrit stammende Sprache „romani“ den nachfolgenden Generationen weitergegeben haben, ist dieses Festival gewidmet. Denen, deren Stolz nicht gebrochen wurde — den Hilflosen zum Vorbild. „Gott hat mich auf dieser Welt zu einem Zigeuner gemacht“, sagt Stojka trotz alledem. „Ich danke Gott dafür und werde ewig stolz sein, ein Zigeuner zu sein.“ Anita Kugler, Berlin