Himmel und Hölle

■ Afrika in Amerika: Eine höchst umfangreiche Ausstellung und Dokumentation zum Columbus-Jahr im Völkerkundemuseum

: Eine höchst umfangreiche Ausstellung und Dokumentation zum Columbus-Jahr im Völkerkundemuseum

Tabak und Baumwolle in Ballen, Kakaobohnen, Kaffee und Rohrzucker in Säcken stehen im Zentrum der Hamburger Ausstellung zum Columbus-Jahr. Sie demonstrieren den transatlantischen Warenfluß als wahres Ergebnis der Entdeckung vom 12. Oktober 1492. In unmittelbarer Nähe zu diesen Warenproben steht ein Pfahl, an dem die Sklaven ausgepeitscht wurden: drastischer Hinweis auf den wirklichen Preis der „Colonialwaaren“. In kürzester Zeit hatten die Europäer aus dem hymnisch besungenen neuen Paradies eine brutal hierarchisierte Hölle geschaffen.

„Hier, wie auch in den übrigen Teilen der Insel sind die Bäume frisch und dicht nebeneinander, das Gras so grün wie im Monat April in Andalusien und der Vogelsang dem Ohre so wohlklingend, daß man für immer hier bleiben möchte. ... auch die Bäume sind vielerlei Art und verbreiten einen wohligen Duft. ... Alle gehen nackt... und alle von guter Gestalt, sehr schöne Menschen“. Nur neunzig Jahre nach diesen Tagebucheintragungen des Columbus war das Ökosystem unwiederbringlich verändert und die Taino-Indianer waren vollständig ausgerottet.

Ihren archäologischen Relikten hat das Völkerkunde-Museum in einem runden Saal am Anfang der Ausstellung eine Art Mausoleum bereitet. Dann geht die Reise durch einen schwarzen Torweg zum eigentlichen Ausstellungsthema: „Afrika in Amerika“. Denn nach dem Verlust der Indianer begann die Geschichte des Schwarzen Amerika mit dem Import von Arbeitskräften aus Afrika.

Und dieser „Dreieckshandel“ war nicht irgendetwas Böses, was weit entfernt die Spanier und Portugiesen getrieben haben: in Hamburger Kontoren, vor allem aber von Wandsbek und Ahrensburg aus steuerte Graf Schimmelmann sein dänisch-karibisches Wirtschaftsimperium. Dänemarks Rolle als Kolonialmacht ist zwar heute wenig bekannt, doch gut dokumentiert. So ist der Ausstellungsteil über die Plantagenwirtschaft in der Karibik hauptsächlich mit Exponaten aus Kopenhagen bestückt.

Obwohl einzelne Riesengewinne mit den Kolonien machten, wird die volkswirtschaftliche Bedeutung des gesamten Atlantikhandels bis zur industriellen Revolution meist überschätzt, der Umfang machte nicht mehr als fünf Prozent des europäischen Bruttonationalprodukts aus. Doch allein dafür wurden bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts zwischen 11 und 20 Millionen Westafrikaner auf die menschenmordenden amerikanischen Plantagen verschleppt. Dieses düstere Kapitel des durch keine mitleidige Einsicht oder ökonomische Vernunft gestoppten und von Kirchen und Regierungen aktiv unterstützen Sklavenhandels ist mehr Hintergrund als Thema der Ausstellung.

Ihr geht es um die Entwicklung der verschiedenen afroamerikanischen Kulturen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf Haiti, dem nach den USA zweiten von Europa befreiten Staat Amerikas, und Brasilien, dem Land mit der höchsten Zahl von Sklavenimporten. Die Entwicklung in den USA wird nur auf einer Fotowand mit Porträts von Luis Armstrong zu Martin Luther King, von Muhammed Ali zu Michael Jackson wie selbstverständlich ins Bewußtsein gerufen.

Die aktuelle afroamerikanische Kultur ist durch Musik und Carnevalskostüme vor dem Hintergrund von Großfotos der Favelas vertreten, vor allem aber mit der durch die Sklaverei geretteten und umgeformten Religion: Candomble, Umbanda und Voudou. Diese synkretistischen Religionen unter dem Mantel des Katholizismus haben

1ständig mehr Anhänger, selbst in Europa. Schwerer, süßer Weihrauch-Geruch breitet sich aus vor den Altären von Xango und Orixala. Und diese sind mehr als eine Museumsrekonstruktion: Der neunzigjährige Candomble-Priester „Baba Lorixa“ Luis Franca aus Recife, Pernambuco, Brasilien hat seine allererste Auslandsreise unternommen und auf eigenen Wunsch hin den Aufbau überwacht und geweiht. Noch für eine Woche ist er in der Ausstellung anwesend und bei ernsthaftem Interesse bereit, das Kaurischneckenorakel zu stellen, mit dessen präzisen Erkenntnissen er schon einige, darunter Wulf Köpke, den Leiter des

1Hauses, verblüfft hat.

So wie die Altäre mehr sind als ein bloßes Beispiel, ist auch der Laden mit religiösen Artikeln aus Brasilien durchaus zu benutzen: Bäder gegen Unfruchtbarkeit, Pulver gegen Streit, Liebesöle oder Ketten in den Symbolfarben der Afrikanischen Götter sind käuflich zu erwerben, wobei die ethnologisch geschulten Verkäuferinnen gemäß des Konzepts eines lebendigen Museums die Bedeutungen und Zusammenhänge erklären. Hajo Schiff

Ausstellung mit zahlreichen begleitenden Veranstaltungen bis Ostern 1993. Empfehlenswertes Begleitbuch, mehr Essayband als Katalog, 25 Mark