Gepfiffene Zwölftonreihen für Olympia

■ Nicht nur Geiger und Komponist, sondern auch Leichtathlet: John Rose mach Werbung für die OlympiaWerkstatt

Die Fluxusbewegung hatte einst das kurzweilige Spiel begründet, nicht existente Persönlichkeiten zu erfinden, die, sich vom romantischen Relikt des Personenkults ironisch distanzierend, PR-artig aufgebaut und scheinwissenschaftlich beleuchtet wurden. Der bekanntesten dieser illusionären Figuren, P.D.Q. Bach, einem imaginären Bach-Sohn, widmete man gar im DuMont-Verlag einen ganzen Band, und selbst Glenn Gould, immer zu obskuren Späßen bereit, ließ sich zu einer Rezension seiner nicht existierenden Musik hinreißen.

Wir leben nun aber in der Konjunktur der Postmoderne, und so bleibt einem auch keine Renaissance der Fluxusideen erspart. Und so bemühte sich denn Jon Rose, australischer Violin-Performer, am Mittwoch und Donnerstag abend in der »Wabe« darum: Aus Jon mache man Johannes, aus Rose Rosenberg, man füge noch einen nie allzu sehr schadenden Doktortitel hinzu, und schon ist Dr. Johannes Rosenberg als imaginäre Fluxus-Persönlichkeit neu geschaffen.

Ein Geiger muß es natürlich sein wie der originale Jon, Komponist klingt auch nicht schlecht, und zudem läßt er sich im Zusammenhang des angekündigten Konzertes als Teil der »OlympiaWerkstatt« als sportlich-musikalische Doppelbegabung besser verkaufen. Also ist er für diesmal nicht nur Geiger und Komponist, sondern auch noch Leichtathlet. Der Titel »die athletische Violine« der zugehörigen Veranstaltung ergibt sich somit quasi von selbst.

So widmete sich also Jon Rose seiner doktortiteltragenden Namenserweiterung, die es vorzog, bei ihrem Auftritt bei den Olympischen Spielen 1936 »Zwölftonreihen zu pfeifen, anstatt sich durch den Thesaurus der Tonleitern und Arpeggios auf vier Saiten zu arbeiten«, wie das Konzertbegleitblatt weiter zu berichten weiß.

Jon Rose widmete sich in der ersten Hälfte des Konzertes aber doch eher, wenn schon nicht dem Thesaurus der Tonleitern und Doppelgriffe, so zumindest den Cevcik-Torturen des Beginns einer jeden Geigerkarriere. Zu diesen meist ostinat wiederholten Fingerübungen, die sich nur bisweilen von Jimmy-Hendrix-artig verzerrten Geigenklängen durchdringen ließen, durfte ein recht pennälerhafter Sprecher eine Auswahl an kurzen Textchen zu Gehör bringen, die sich, nach verschiedenen Sportdisziplinen betitelt, durchaus nicht nur auf zäh-gewollte Komik beschränkten (zum Text übers Doping von Ben Johnson und Katrin Krabbe etwa erklingt gesampeltes Geräusch von fließendem Wasser, um ans Wasserlassen bei der Dopingkontrolle zu erinnern), sondern auch Kernstücke an Wahrheit enthielten. Am treffendsten etwa, daß »die athletische Violine« unter »Gymnastik« fiel.

So tat das musikalische Ereignis seinem Rahmen, der »Werkstatt Olympia«, was vermutlich nichts anderes als ein kulturelles Beiprogramm der allgemeinen Werbekampagne für die olympischen Spiele in Berlin im Jahre 2000 ist, genüge. Die entsprechende Idee findet sich ehrlicherweise auch gleich im Begleitpapier wieder: »1936 war auch das Jahr, in dem kulturelle Ereignisse dem Olympischen Spektakel einverleibt wurden«.

War der Zusammenhang zu 1936 also bereits geschaffen, so durfte in der zweiten Hälfte des Konzertes ein von Jon Rose geleitetes »Improvisationsorchester der Documenta IX« allerlei musikalische Versatzstücke zu Dokumentaraufnahmen der Hitlerschen Olympiade zum besten geben. Zum Hitlergruß einen Tusch, zum Marathonlauf eine kleine Rockballade, zum gesampelten Deutschlandruf ekstatischen Instant-Free-Jazz, zum »heldenhaften Kampf« ein Solo-Violinchen. Jon Rose, ganz autoritäter Einsatzgeber mit Hilfe diverser Fähnchen, gelang somit glänzend, was ihm vermutlich nicht gelingen wollte: statt ironischer Brechung erfuhren die enthusiastischen Dritte-Reich- Aufnahmen eine musikalische Überhöhung, und heraus kam das, was Joachim-Ernst Behrend einst das Faschistoide in der Musik nannte. Bei einem »Republikaner«-Parteitag jedenfalls hätten die jungen Rechten bei den hymnischen Free-Jazz-Eskapaden zu Führers Gruß sicherlich freudig mitgegrölt. Ob man diese Kreise nicht derart für aufgewärmte Alt- Avantgarde-Musik erwärmen könnte? Motto: Olympia macht's möglich. Walter Kovalski