Fluch des Kolumbus

Ein gigantisches Denkmal zu Ehren des Entdeckers in der Hauptstadt der Dominikanischen Republik, Santo Domingo, ist der vorläufige Höhepunkt eines rücksichtslosen Modernisierungswahns  ■ Von Jutta Bangel

„Der Regierung Arbeit ist des Volkes Fortschritt“, verkündet die Holztafel am Eingang der neuerrichteten Wohnanlage „Los Tres Ojos“ in Santo Domingo. Ein Blick auf die mit öffentlichen Geldern gebauten zweistöckigen Appartementhäuser, die sich hinter der Holztafel aufreihen, scheint diesen Fortschrittsoptimismus zu bestätigen: Wo früher Hütten aus Holz und Wellblech standen, werden nun zahlungskräftigen Mietern Drei- Zimmer-Appartements mit Einbauküche und Bad zum Kauf angeboten. Eingerahmt von betonierten Gehwegen, exakt abgezirkelten Rasenflächen und schnurgeraden Steinmäuerchen und bewacht von bewaffneten Soldaten der dominikanischen Kriegsmarine, bietet „Los Tres Ojos“ ein groteskes Bild spießbürgerlichen Wohlstands inmitten einer Ödnis aus Beton und Elendsquartieren.

Nur ein Erdwall trennt die piekfeinen Appartements von „Los Tres Ojos“ von den notdürftig mit Pappe und Wellblech geflickten Bretterbuden und kleinen Steinhäuschen des angrenzenden Wohnviertels „El Faro“. Dort steht einer achtköpfigen Familie gerade mal ein Wohnraum zur Verfügung, teilen sich Dutzende von BewohnerInnen einen einzigen, öffentlichen Wasserhahn. Löchrige Lehmwege, Schutt und Überreste von eingefallenen oder planmäßig zerstörten Elendsbehausungen prägen das Bild.

Gleichsam als Krönung dieser extremen Gegensätze erheben sich vis a vis von „El Faro“ und „Los Tres Ojos“ die Betonmassen des bisher kostspieligsten Denkmals der Dominikanischen Republik: der „Faro a Colon“, der Kolumbus-Leuchtturm. Dieses Bauwerk soll an die Entdeckung der Insel Hispaniola — der heutigen Dominikanischen Republik — durch Christoph Kolumbus vor 500 Jahren erinnern. Das riesige Monument in Form eines liegenden Kreuzes ist knapp 250 Meter lang und gut 45 Meter hoch. Seine Spezialscheinwerfer der Marke XENON-Skyscraper sollen am 12.Oktober, dem Jahrestag der Entdeckung, ein leuchtendes Kreuz in den nächtlichen Himmel über Santo Domingo werfen.

Eine Absurdität in einer Stadt, deren Bewohner von einem kollabierenden Elektrizitätsnetz mit täglichen Stromausfällen geplagt werden. Beim ersten Probelauf der 40.000 Kilowatt starken Scheinwerfer im vergangenen Jahr gingen in der Zwei-Millionen-Metropole Santo Domingo auch prompt die Lichter aus. Nur das Kreuz des Kolumbus erstrahlte weithin sichtbar am nächtlichen Himmel. Nach Anschaffung von teuren Zusatzgeneratoren versanken bei der Generalprobe Ende letzten Jahres immerhin nur noch einige Außenstadtbezirke im Dunkeln.

Die in Beton gegossene Ehrenbezeugung an den genuesischen Seefahrer kostete die Staatskasse der Dominikanischen Republik nach vorsichtigen Schätzungen zwischen 40 und 100 Millionen US- Dollar und raubte mindestens 10.000 Menschen Wohnraum und Existenzgrundlage. Denn um Platz zu schaffen für das Riesenmonument, mußten erst einmal etliche Wohnsiedlungen geräumt und ihre Bewohner an den Stadtrand vertrieben werden. Damit ist die ebenso lange wie bewegte Entstehungsgeschichte des Kolumbus- Denkmals um ihr bisher traurigstes und vorläufig letztes Kapitel „reicher“ geworden.

Bereits 1852 kam dem dominikanischen Historiker Don Antonio del Monte y Tejada die Idee, einen Leuchtturm zu Ehren des Entdeckers Christoph Kolumbus auf der Karibikinsel Hispaniola zu errichten. Doch erst 1929 griff die Panamerikanische Konferenz diesen Gedanken auf und beschloß, „ein würdiges Symbol für diesen Mann und seine Heldentat“ zu schaffen. Ein internationaler Wettbewerb wurde ausgeschrieben, an dem sich 1.926 Architekten mit insgesamt 445 Entwürfen beteiligten.

Am 17. Oktober 1931 fiel endlich der Schiedsspruch: Der erste Preis ging an den jungen Briten Joseph Lea Gleave. Gleave hatte sich von Kolumbus selbst inspirieren lassen: „Kreuze sollen auf allen Wegen und Pfaden errichtet werden.“ Er konzipierte einen Leuchtturm aus Stahl und Beton in Form einer flachen Maya-Pyramide, deren gleißendes Licht den Reisenden zu Wasser und in der Luft den Weg weisen sollte. Eine elektronische Orgel sollte bei Abenddämmerung ein Requiem für Kolumbus spielen. Siebenmal sollte die Melodie im Rhythmus des allmählich heller werdenden Leuchtfeuers erklingen, bis das Kreuz des Kolumbus schließlich am nächtlichen Himmel über Santo Domingo erstrahlte. Verwirklicht wurde dieser schwülstige Traum allerdings nie. Innen- wie außenpolitische Ereignisse verschoben die Realisierung des Bauwerks Jahr um Jahr. Gleave kehrte unverrichteter Dinge nach Großbritannien zurück.

Erst Trujillos treuer Vasall und Nachfolger, Präsident Joaquim Balaguer, griff 1970 das Projekt wieder auf. Der „Faro a Colon“ sollte sich als Prunkstück eines städtebaulichen Modernisierungsprogramms über Santo Domingo erheben und seinem Bauherrn Balaguer ein ewiges Denkmal setzen.

Besessen von der Idee, Santo Domingo in eine moderne Metropole nach nordamerikanischem Vorbild zu verwandeln, ließ der inzwischen 85jährige Präsident seit seinem Amtsantritt die Hauptstadt der Karibikinsel mit architektonischen Prestigeobjekten bestücken. Sechsspurige Avenidas, elegante Bürotürme und Luxusappartements wurden in das Stadtzentrum geklotzt. Etliche Millionen Dollar flossen in die Restaurierung der historischen Altstadtfassaden und den Ausbau der weitläufigen Parkanlage „Mirador del Este“ im modernen Teil Santo Domingos. Im Hinblick auf die anstehenden Feierlichkeiten zum Kolumbus-Jahr 1992 steigerte sich der Bauboom in den letzten Jahren ins Unerträgliche. Den anrückenden Gästen aus aller Welt sollte eine fortschrittliche, von sichtbarer Armut und anderen Gebrechen einer Dritte-Welt-Metropole gesäuberte Hauptstadt präsentiert werden.

Während der greise Präsident seine Geltungssucht mit Hilfe ambitiöser Bauprojekte befriedigt, versinkt Santo Domingo allmählich in Dreck und Elend. Denn zugunsten von Balaguers Modernisierungsprogramm wurde kurzerhand bei Wohnungsbau und Müllentsorgung gespart. Das Resultat: Im Jahre 500 nach der Landung von Christoph Kolumbus auf Hispaniola prägen stinkende Müllberge, halbfertige Bauruinen und aufgerissene Straßen das Bild der Hauptstadt.

Auf die Feierlichkeiten zum Kolumbus-Jahr angesprochen, reagieren die von Abriß und Umsiedlung Betroffenen nur noch mit hilfloser Wut. „Wir haben keinen Grund zum Feiern“, beteuert Juan Mendoza aus der Wohnsiedlung El Faro. „Als Kolumbus uns entdeckte, waren wir ein reiches Volk. Jetzt besitzen wir nichts mehr.“ „Kolumbus ist ein Fluch für uns alle. Daß wir heute auf der Straße sitzen, haben wir dem da zu ver

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danken“, pflichtet ihm seine Nachbarin bei und gestikuliert wütend in Richtung des Leuchtturms auf der anderen Seite der vierspurigen Avenida „Las Americas“. Für den Bau der Leuchtturm-Anlage mußten sie und zweitausend weitere Familien aus dem Armenviertel „El Faro“ ihre Wohnungen räumen. Diejenigen, die ihre Häuser nicht freiwillig verließen, wurden mit Polizeigewalt vertrieben, bevor die Abrißkommandos alles niederwalzten. Pepe, Vorsitzender des Nachbarschaftskomitees zum Erhalt des Wohnviertels „El Faro“, erinnert sich sehr gut, wie alles begann: „Im August 86 tauchten hier höchst merkwürdige Fremde auf. Sie schlichen um unsere Häuser herum und numerierten sie mit schwarzer Farbe, als ob das ganze Viertel ihnen gehörte. Dann verschwanden sie wieder und kamen kurz darauf mit einer ganzen Invasion von Räumfahrzeugen, um uns mitzuteilen, daß unser Viertel ,verschönert‘ werden sollte. Sie versprachen uns neue Wohnungen in modernen Hochhäusern am Stadtrand, wenn wir sofort unsere Häuser räumen.“ Rund zehntausend Menschen aus „El Faro“ und den angrenzenden Wohnvierteln ließen sich überreden und räumten ihre Häuser freiwillig. Auf Ersatzwohnungen warten sie noch heute, und auch die versprochene Entschädigung hat kaum jemand bekommen. Die meisten zogen notgedrungen an den Stadtrand, wo sie noch elendere Lebensbedingungen antrafen als in ihren ehemaligen Wohnvierteln. Diejenigen, die es vor der Umsiedlung zu einem bescheidenen Steinhäuschen gebracht hatten und sich durch kleine Dienstleistungen in der Nachbarschaft oder den angrenzenden Bürovierteln das Überleben sichern konnten, mußten wieder von vorn anfangen: in Bretterbuden ohne Wasser- und Stromversorgung. Ihre Verdienstmöglichkeiten im Stadtzentrum mußten sie aufgeben, denn die kilometerlange Anfahrt aus ihren Siedlungen inmitten des Nirgendwo konnte sich niemand mehr leisten. „Ich kenne Familien, die fangen zum dritten Mal von vorne an, weil sie schon dreimal ihre Häuser verloren haben“, klagt Jorge Celas vom alternativen Stadtplanungsprojekt „Ciudad Alternativa“. Seit Jahren versuchen er und seine Mitarbeiter die Opfer der rücksichtslosen Modernisierungspolitik der Regierung Balaguer mit neuem Wohnraum zu versorgen.

„Insgesamt“, so schätzt Jorge Celas, „hat die Sanierungspolitik der Regierung Balaguer mehr als 300.000 Menschen aus dem Stadtzentrum von Santo Domingo vertreiben und zumindest vorübergehend obdachlos gemacht.“

Noch ist kein Ende abzusehen, denn der Präsident scheint die Errichtung von immer neuen, ebenso kostspieligen wie unnützen Bauwerken zu seinem persönlichen Hobby gemacht zu haben.

Vor Jahren schon an einer Augenkrankheit erblindet, kann Balaguer selbst zwar nicht mehr sehen, was er anrichtet. Doch noch immer läßt er sich jede Woche durch das Land chauffieren, um städtebauliche Neuheiten von der Verkehrsinsel bis hin zum Aquädukt persönlich einzuweihen. Der für An- und Abreise des Präsidenten betriebene Aufwand ist meist kostspieliger als das einzuweihende Objekt selbst. Ein Journalist der Tageszeitung El Siglo in Santo Domingo rechnete einmal nach, wieviel Geld das Hobby Balaguers jedes Jahr aus dem Staatssäckel verschlingt. Er kam auf die stolze Summe von vier Millionen US- Dollar bei veranschlagten zwei Einweihungen pro Woche. Verpulvert werden die Millionen für Inspektion und Reinigung der Einweihungsörtlichkeiten, für Errichtung und Abriß der Präsidententribüne, für die Bereitstellung von ein paar Dutzend Begleitfahrzeugen und den Präsidentenhubschrauber, für die Bezahlung des Sicherheitspersonals und für Spesen der etwa 200 Militär- und Zivilpersonen, die jeder größeren Einweihung beiwohnen. Hinzu kommen Ausgaben für ganzseitige Anzeigen in den Tageszeitungen unter dem Titel „Solo Balaguer puede hacerlo“ (Nur Balaguer vollbringt das) und für das Anheuern eines Chores, der Loblieder auf den Präsidenten und „sein“ Bauwerk singt. Lange wird sich die dominikanische Bevölkerung ihren greisen Caudillo mit seinen teuren Hobbies nicht mehr leisten können. Das muß sie wohl auch nicht. Denn der 87jährige Balaguer hat sich vor zwei Jahren nur deshalb wiederwählen lassen, um sein Lieblingsprojekt, den Bau des Kolumbus-Denkmals, vollenden zu können. Nach den Feierlichkeiten zum Kolumbus-Jahr wird er möglicherweise bald zurücktreten. Das zumindest behaupten die Klatschspalten der Tageszeitungen von Santo Domingo.