Halluzinogene Bauten

Vergangenheitsspeicher in Kunsthalle Wien  ■ Von Stella Rollig

Eröffnungsausstellungen werden immer programmatisch verstanden. So nimmt man denn auch die erste Schau der neuen Kunsthalle Wien am Karlsplatz als Avis auf künftige Ausstellungspolitik: Mit der Haus-Rucker-Co wird eine zwischen den Fachsparten wildernde Künstlergruppe präsentiert. Zu solchem Aufsprengen der Kunstgrenzen, verspricht Direktor Toni Stooss, soll es im Spielplan der Kunsthalle immer wieder kommen.

Gut gewählt erscheint diese Präsentation aus zwei weiteren Gründen: Sie findet sich in der nur vorläufig errichteten und bis zuletzt heftig angefeindeten „Schachtel“ des Kunsthallen-Architekten Adolf Krischanitz, einem Gesinnungsgenossen der Haus-Rucker- Ideologie vom provisorischen Bauen; und zuletzt sind die Brüder Ortner nicht nur Haus-Rucker, sondern auch die Architekten jenes Jahrhundertprojekts Museumsquartier, in dem die Kunsthalle Wien knapp vor der Jahrtausendwende ihren endgültigen Standort finden wird.

Eines sollte jedoch vermieden werden: Obwohl als Schlußpunkt unter die gemeinsamen Jahre gesetzt, wollten die Haus-Rucker (gegründet 1967 von den Architekten Laurids Ortner und Günter Zamp Kelp und dem Maler Klaus Pinter, später kam Manfred Ortner dazu) nichts weniger als eine nostalgische Retrospektive, womöglich gar eine Nachinszenierung einer ihrer legendären Veranstaltung der späten sechziger und frühen siebziger Jahre. Also trugen sie Skizzen, Plakate, Fotos, Modelle und Relikte zusammen und verstauten sie in fünf Meter hohen metallenen Industrieregalen. Der Besucher meint sich eher in einem Speicher denn in einer Ausstellung, in einem umfangreichen Materialarchiv, dessen Kargheit von einer mitten hinein gesetzten Cafe- Bar aufgelockert wird — Teil der „Kommunikations-Maschine Ausstellung“ (L.Ortner).

Die Aktionsrelikte erzeugen das Gefühl der Authentizität, das konventionellen Architekten- Werkschauen so oft abgeht. Zusammengeschrumpelt und zerknittert liegt da in der Ablage die riesige transparente PVC-Hülle, einst Wahrzeichen der documenta 5 von 1972, als freischwebende Riesenblase vor die Fassade des Fridericianums montiert. Diese „Oase Nr.7“ war eines jener synthetischen Reservate, die die Haus- Rucker als Überlebensorte für die Menschen des ruinierten Planeten Erde entwickelten. Es war die Phase ihrer drastisch formulierten Industrialisierungskritik, die auf die Spiel-und Spaßexperimente der Sechziger gefolgt war. Als wackere Öko-Aktivisten freilich taugten sie auch dann nicht, zu ironisch und verspielt blieben ihre Projekte. Das Naturerlebnis wollten sie in der Stadt mit Bergkulissen oder künstlichen Wasserfällen simulieren, dem Städter Moos als Schuheinlage verpassen, ganze Bauernhöfe unter aufblasbaren Plastikkuppeln vor verschmutzter Luft abschotten, später dann in New York eine neue Architektur einfach oberhalb des verkommenen Stadtdschungels auf den Dächern installieren.

Dem Prinzip der Pneumatik blieben sie dabei treu: 1970 hatten sie für „Haus-Rucker Live!“ das Wiener Museum des 20.Jahrhunderts mit einem gigantischen wogenden Luftkissen und drei Superballons in ein Riesenbillard verwandelt, auf dem (hauptsächlich die Kinder der) Museumsbesucher sich austobten. Das Modell davon steht im Regal.

Die Zeitstimmung um 1970 interessiert mehr als die realisierten Bauten der Achtziger: der Blick in die Vergangenheitsspeicher der Haus-Rucker erinnert noch einmal an längst Verlorenes — an Technologievertrauen, an Euphorie über die Eroberung des Weltraums, an unbeschwerten Drogenkonsum („Wir wollten Bauten schaffen, die wie Halluzinogene wirken“), an Kunst, die Spaß machte, ja sogar an ferne liberale Tage der Wiener Kommunalpolitik. Denn ausgerechnet in der Baugrube des Polizeipräsidiums hatte 1968 das „Gelbe Herz“ geschlagen, eine Luftkissenkammer, deren Innenvolumen sich dehnte und zusammenzog, auch ein Rückzugsort. Ausstellungskurator Dieter Bogners Aufforderung zum Vergleich zwischen einst und jetzt: „Man muß sich fragen, ob nicht ein Abbau der Möglichkeiten stattgefunden hat.“

Noch bis zum 2.12.