„Zwei Jahre sind noch kein Leben“

■ Gespräch mit einem „Rebellen“, der zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war

Ende Mai 1989 interviewte die taz einen 22jährigen Biologiestudenten der Peking-Universität (Beida), der sich aus Protest gegen die Verhängung des Kriegsrechts über Peking mit einer Gruppe Gleichgesinnter öffentlich den Kopf kahlrasiert hatte. Die Kahlrasur, sagte er damals, sei ein zweitausend Jahre altes Zeichen politischen Protestes in China. Nachdem über eine Million Menschen im Frühjahr 1989 wochenlang demonstrierten und die Führung alle friedlichen Methoden der Kritik ignorierte, hätten sie kein Vertrauen mehr in die Regierung: „Von einer Partei, die alle paar Jahre ihren Chef zum Parteifeind erklärt — wohl eine chinesische Spezialität —, haben wir nichts mehr zu erwarten.“ Im Mai 1992 kam er aus der Haft frei.

Hunderte AktivistInnen der Bewegung von 1989 sind jedoch immer noch im Knast. Auch in diesem Sommer sind in Peking und anderen Städten wie Lanzhou wieder Dutzende von DissidentInnen verhaftet worden. Sie hatten sich zum Teil in neuen Gruppierungen wie der „Freien Arbeiterunion“, der „Progressiven Allianz Chinas“ und den „Demokratischen Sozialisten“ engagiert.

taz: Können wir darüber sprechen, was mit dir passiert ist?

Nach der Zerschlagung der Bewegung bekam ich keine besonders großen Probleme, weil ich nur kurzzeitig dem autonomen Studentenkomitee der Beida angehörte und keine bedeutende Funktion innehatte. Ich wurde dann erst Anfang 1990 verhaftet.

Aus welchem Anlaß?

Ich organisierte die Beförderung kritischer Flugblätter von Peking in meine Heimatprovinz. Bei der Verteilung in Wuhan wurden einige Aktivisten geschnappt, die dann im Verhör unter Druck meinen Namen nannten. Ich saß ein Jahr lang im Gefängnis, bis ich meine Klageschrift erhielt. Dann ging alles sehr schnell: Im Nu war ich zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. (Er zieht aus einem Briefumschlag eine zweiseitige Anklageschrift hervor. Obwohl ihm nur ein Fall konkret zur Last gelegt wurde, ist darin die Rede von „ständiger Konspiration“ und „Aufwiegelung“, „Verbreiten von Gerüchten“ und „notorischem Rebellentum“.)

Wie war die Situation im Knast?

Die Bedingungen waren natürlich ziemlich schlecht, ich saß zwei Jahre in Einzelhaft in einer Sechs- Quadratmeter-Zelle, die war im Winter eiskalt und im Sommer brütend heiß. Wenigstens gab es für mich keine „ideologische Erziehung“. Es ist sinnlos, noch darüber zu reden. Es ist vorbei.

Man sieht dir nicht an, was du durchgemacht hast.

Das war nicht immer so. (Er zeigt auf sein Entlassungsfoto, auf dem er total abgemagert vor dem Gefängnistor steht.) Als ich verhaftet wurde, wog ich 70 Kilo, bei meiner Entlassung noch 48. Ich bereue nicht, was ich getan habe. Ich bin meinem Gewissen gefolgt und muß dafür die Verantwortung tragen. Zwei Jahre sind noch kein Leben.

Hast du keine Haßgefühle?

Nicht mehr, weil ich eingesehen habe, daß es überhaupt nichts nützt.

Hältst du Briefkampagnen für die Amnestie chinesischer Gefangener, wie sie von amnesty international durchgeführt werden, für sinnvoll?

Vielleicht üben solche Briefe doch einen gewissen Druck auf die Regierung aus, aber in meinem Fall war es ohne Erfolg. Amerikanische Delegationen haben sich mehrfach vergeblich für meine Freilassung eingesetzt.

Sollte das Ausland mit Wirtschaftssanktionen Druck ausüben, um die Gefangenen freizubekommen?

1989 wären massive Sanktionen notwendig gewesen, jetzt wären sie eher kontraproduktiv. Das Ausland sollte aufhören, Deng Xiaoping anzugreifen. Obwohl es aus moralischen Gründen schwerfällt, denn Deng trägt die Verantwortung für das Massaker, ist es aus langfristigen politischen Überlegungen heraus klüger, vorrangig die orthodoxen Hardliner zu bekämpfen und den Reformkurs zu unterstützen.

Was hast du nach deiner Entlassung gemacht?

Bei einer staatlichen Einheit finde ich nie mehr einen Job. Aber alle Aktivisten von damals helfen sich nach Kräften gegenseitig. Durch das Hilfsnetzwerk, das an jeder Universität existiert, habe auch ich Arbeit bei einer privaten Firma gefunden. Es gibt einige Unternehmen, deren Leiter früher selbst einmal „Probleme“ hatten oder für die nur die fachliche Qualifikation, nicht aber die politische Vergangenheit zählt. Die Hilfsnetzwerke stellen dann die Kontakte her.

Brauchst du finanzielle Unterstützung, um nach der Entlassung dein Leben neu aufzubauen?

Danke, aber ich verdiene jetzt in der Privatwirtschaft ein Vielfaches von dem Gehalt des Staatsanwaltes oder Richters, die mich 1990 in den Knast steckten. Interview: Klaus Pan