Der bekannteste deutsche Politiker in Polen

■ Außer an den Kniefall im jüdischen Getto denken die Polen bei Brandt vor allem an die Sicherung ihrer Westgrenze

„Es war eine ungewöhnliche Last, die ich auf meinen Weg nach Warschau mitnahm. Nirgends hatte das Volk, hatten die Menschen so gelitten wie in Polen“ — schrieb Willy Brandt in seinen Erinnerungen. Das berühmte Bild, auf dem Brandt am Morgen des 7. Dezember 1970 vor dem Denkmal für die Aufständischen des jüdischen Ghettos in Warschau kniet, hatten heute erneut viele Polen vor Augen, als sie die Nachricht vom Tod Willy Brandts erreichte.

Brandt war über Jahre der bekannteste und angesehenste deutsche Politiker in Polen. Man rechnete ihm vor allem hoch an, daß er den politischen Mut hatte, die Unverletzlichkeit der polnischen Westgrenze in dem Normalisierungsvertrag vom Dezember 1970 zu verankern, wodurch die Weichen für eine Entspannungspolitik zwischen Polen und der Bundesrepublik gestellt und menschliche Kontakte ermöglicht wurden. Daß Brandt selbst in der antifaschistischen Bewegung aktiv war, hat sicherlich auf der emotionalen Ebene den Dialog mit der polnischen Seite erleichtert.

Auch die Persönlichkeit Brandts selbst, sein weltmännisches Auftreten, sein Charme, der das genaue Gegenteil des Preußenbildes war, bewirkte, daß er in Polen immer mit einer ganz besonderen Attention empfangen wurde. Das letzte Mal war Willy Brandt 1985 in Polen, zum 15. Jahrestag der Vertragsunterzeichnung. Er sprach damals mit General Jaruzelski. Eine Reise nach Danzig zu Lech Walesa war auf Wunsch der damaligen Behörden nicht zustande gekommen.

Die polnischen Politiker, mit denen Brandt in den siebziger und achtziger Jahren Kontakte hatte, sind mit der Wende 1989 aus der Öffentlichkeit verschwunden. Diejenigen, die heute die politischen Fäden ziehen und ehemals zu der bekämpften politischen Opposition gehörten, lassen immer wieder anmerken, daß sich die deutschen Sozialdemokraten allzu artig dem Wunsch der Kommunisten fügten, bei offiziellen Besuchen in Polen der Opposition aus dem Weg zu gehen.

Auch die Entspannungspolitik selbst wird heute in Polen unterschiedlich bewertet. Das Positive nicht negierend, weist man auch darauf hin, daß der Normalisierungsvertrag von 1970 gleichzeitig zu einer Stärkung der realen Machtverhältnisse beigetragen habe. Die Entspannungspolitik sei vor allem an die regierenden Kommunisten gerichtet gewesen, die im Endeffekt den Kreis derer bestimmten haben, die den Dialog mit der Bundesrepublik weiterführen durften. Dennoch: Ohne das Vertragswerk von 1970 hätte es nicht die im vergangenen Jahr — von der neuen politischen Garde in Polen — unterzeichneten deutsch- polnischen Verträge über die völkerrechtliche Anerkennung der polnischen Westgrenze sowie über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit geben können. Marzenna Guz-Vetter, Warschau