Westernhagen-Fans waren überglücklich

■ Rockröhre versuchte sich im Entertainment und hinterließ Müllberge / Gassenhauer waren besonders konsensträchtig

„Ich habe gerade gehört, daß sich einige Leute schon vor über einem Jahr eine Karte für dieses Konzert gekauft haben,“ teilte halb verschmitzt, halb konsterniert der Sänger seinem stampfenden Publikum mit. Mit einem ebensolchen Gesichtsausdruck vernahm in den Vorräumen der Alsterdorfer Sporthalle der Konzertveranstalter Karsten Jahnke den Satz von der Bühne. Jahnke musterte die sich gegenüberliegenden Garderoben und Stände für Eis, Würste und Marius Müller-Westernhagen-Zubehör.

Nützliche Boten hasteten durch den dazwischen liegenden Korridor. Die fallengelassenen, den Boden bedeckenden Gratis-Informationsbroschüren, gaben einen farbigen Eindruck von den modischen Kriterien der herbeigeströmten Westernhagen-Fans. Westernhagen wiederum nutzte seine Narrenfreiheit, indem er am Samstag abend eine die Komplementärfarben voll ausnutzende Kleiderordnung gewählt hat.

Die Reporter hatten arbeitseifrig

1die Mikrophone in die Hand genommen, um mit dem Staats-Rocker zum einvernehmlichen Plausch anläßlich dessen neuer Platte „JaJaJa“ zu kommen. Trotz Westernhagens leidlich smalltalkender Anteilnahme am Geschehen um ihn herum, kam auch der kritischste Beobachter im Urteil nicht über die Feststellung hinaus, daß seine Lie-

1der immer noch klüger und besser seien, als die seiner deutsch singenden Kollegen.

Eines ist offensichtlich: Hamburger jubeln ihm nicht aus Anerkennung zu, sondern weil jeder sicher sein kann, den gleichen Mindestabstand zu ihm einzunehmen. So geeint konnte die anwesende Kleinstadt sich seiner genauso versichern, wie umgekehrt. Das versunkene, andächtig zuhörende Paar kam ebenso auf seine Kosten, wie der selbstbewußt betrunkene Jugendliche. Der Großteil der Konzertbesucher faltete die Hände über dem Kopf rhythmisch zum Hausdach.

Ein Mann, der sich zwei Tage zuvor noch mit Mitgliedern der „Scorpions“ und dem „BAP“-Sänger Niedecken auf einer Benefiz- Veranstaltung für autistische Kinder gezeigt hatte, konnte nicht falsch sein. Westernhagen ließ es zwischen den Stücken an einem aufmunternden „Ich kann euch nicht hören“ hier und einem aufmüpfigen „Ich will euch sehen. Jonny mach' das Licht an“ dort nicht fehlen. Die

17000 zollten mit Schmackes Dank.

Der Beifall gab eine weniger freundliche Komponente Preis: Es klatschten untere bis mittlere Altersklassen, um ausdrücklich darauf hinzuweisen, was sie sich auf keinen Fall wegnehmen lassen würden. Entsprechend ließ sich „Marius“, von den Konzertbesuchern immer wieder aufmunternd angefeuert, nicht zu lange Zeit, um auf seine konsensträchtigen Gassenhauer einzuschwenken. Nach einer funkigen, spärlich instrumentierten

1„Pfefferminz“-Version legte die zehnköpfige Band mit ihrem Chef im zweiten Teil des Stücks einvernehmlich los.

Beim Singen mühte sich Westernhagen um Entertainment, und durchmaß leicht hölzern die Bühnenfläche. Beim Rausgehen schwärmten die Dagewesenen von dem, den sie erwartet und getroffen hatten. Konzert-Fazit: Alles wie gehabt, und trotzdem sind alle glücklich. Hamburger gönnen sich ja sonst nichts. Kristof Scheuf