■ Press-Schlag
: Daum oder nicht Daum

Die längsten Gesichter des Jahres gab es am Freitag im Nou-Camp-Stadion von Barcelona zu bestaunen. Guido Buchwald, Kapitän des VfB Stuttgart, kämpfte mit den Tränen, Dieter Hoeneß sah aus wie sein großer Bruder Uli nach dem verschossenen Elfmeter im EM- Finale 1976, Präsident Mayer- Vorfelder wirkte, als hätte man ihn beim Ladendiebstahl erwischt, und Trainer Christoph Daum ging es nach eigenem Bekunden „saudreckig“. „Als Trost habe ich nur den Dieter“, beschwor er nach dem verlorenen Entscheidungsspiel gegen Leeds United die Solidarität der Sündenböcke, fügte dann aber rasch und artig hinzu: „Den Präsidenten auch und meine Familie.“

1984 war der VfB ebenfalls in der ersten Runde des Europapokals ausgeschieden, damals mit zwei blamablen Unentschieden gegen Levski Spartak Sofia. Diesmal gestalteten die Schwaben ihren Abschied etwas spannender und vor allem unterhaltsamer. Der Verstoß gegen die Ausländerregel beim 1:4 verlorenen Rückspiel in Leeds, ein Ergebnis, das nach dem 3:0 im Hinspiel zum Weiterkommen gereicht hätte, sorgte für Amüsement in ganz Europa. Nur in England war man wütend, weil die UEFA die Stuttgarter nicht sogleich ausschloß, sondern ein Entscheidungsspiel ansetzte. Vor einsamen 6.412 Zuschauern im gigantischen Nou Camp rückten die Briten die Verhältnisse dann auf sportlichem Wege gerade. Verdient gewannen sie durch Tore von Gordon Strachan (35.) und Carl Shutt (77.) bei einem Gegentreffer von André Golke (38.) mit 2:1 und dürfen nun in der zweiten Runde gegen die Glasgow Rangers spielen.

Nach der Niederlage brach die Welt der Stuttgarter endgültig zusammen, und ein wohlgelungenes Medley aus griechischer Tragödie und shakespeareskem Drama nahm seinen Lauf. Während der Chor der geschlagenen Spieler ergreifend in die Mikrofone jammerte, forderten Schwärme von Erinnyen in Gestalt der Medien Rache für den Mißgriff von Leeds. Daum und Hoeneß versuchten sich wechselweise als Romeo und Julia oder Güldenstern und Rosencrantz, nur Boß Mayer-Vorfelder schien sich nicht recht entscheiden zu können, ob ihm nun die Rolle des zauderlichen Hamlet („Daum oder nicht Daum“) oder des wahnwitzigen Lear besser zu Gesicht stehen würde. Den Part des mörderischen Macbeth, der ihm permanent angetragen wurde, lehnte er kategorisch ab. Trotz der gigantischen finanziellen Verluste, der verpaßten Chance, „den Verein auf Jahre hinaus zu sanieren“, will Mayer- Vorfelder die beiden Verantwortlichen für den Wechselfehler nicht rausschmeißen. Eine Entscheidung, offenbar auch im Sinne der Spieler. „Was hier passiert ist, ist eine Katastrophe“, meinte Torwart Eike Immel, „aber wenn Daum und Hoeneß zurücktreten, wäre das eine noch größere Katastrophe.“

Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, daß die wackeren Schwaben zwar nicht aus einer Mücke, aber, sagen wir, aus einem Zwergpinscher einen Elefanten machen. Gegen den englischen Meister auszuscheiden ist mitnichten eine Schande, außerdem hätten sich die Stuttgarter kaum beklagen können, wenn sie in Leeds noch ein fünftes Tor kassiert hätten. Und vielleicht war es ja gerade der taktische Schachzug Daums, sieben Minuten vor Schluß den 1,93 großen Simanic als vierten Ausländer aufs Feld zu schicken, der dem VfB damals jenes Schicksal, das er nun in Barcelona erlitt, noch einmal ersparte. Matti