Die Visionen eines alten Mannes

■ In Peking beginnt der 14. Parteitag der chinesischen Kommunisten/ Delegierte sollen Deng Xiaopings Reformprogramm absegnen/ Leitmotiv: Ende der zentralen Planwirtschaft — ohne Machtverlust der Partei

Peking (taz) — Auch wenn der 88jährige Deng Xiaoping nicht selbst in Erscheinung tritt: Es ist seine Vision der Zukunft, die der heute in Peking beginnende Parteitag absegnen soll. Und obwohl niemand es wagen wird, vom absehbaren Dahinscheiden des Altpolitikers zu sprechen, weiß jeder, daß dieser 14. Parteikongreß Dengs Vermächtnis ist.

Doch ein Gefühl tiefer Beunruhigung liegt über der Veranstaltung. Schließlich ist dies nicht das erste Mal, daß Deng seine radikalen Wirtschaftsreformen durchzusetzen sucht. Schon der vorherige Parteitag vor fünf Jahren galt als „Dengs letzte Schlacht“. Damals hatte die Reformfraktion bedeutende Erfolge errungen. Und doch wurde Deng Xiaoping und alles, wofür er stand, in der darauffolgenden Zeit in Frage gestellt.

Weniger als ein Jahr nach dem Kongreß von 1987 wurde Dengs Protege, der damalige Parteichef Zhao Ziyang, von der Parteispitze heftig kritisiert. Daraufhin begann eine Kurskorrektur zur Abkühlung der stark überhitzten Wirtschaft. 1989 verwandelten sich die Demonstrationen gegen die Korruption schnell in Forderungen nach Dengs Rücktritt und für Pressefreiheit. Nach der Unterdrückung der Proteste durch die Armee folgte ein konservativer Rückschlag, der bis zum Anfang dieses Jahres dauerte. Zhao wurde unter Hausarrest gestellt, und das ist er bis heute. Als Deng wieder aus der Versenkung auftauchte, mußte er die Reformen wieder neu ankurbeln. Aus heutiger Sicht war der 13. Parteikongreß ein Pyrrhussieg.

Die Aussichten für die Zeit nach dem jetzt beginnenden Parteitag sind etwas besser. Aber die Blütezeiten Dengs sind vorbei, auch wenn seine zornigen Beschimpfungen die konservativen Hardliner dazu trieben, in Deckung zu gehen. Er ist ein alter und schwacher Mann, der kaum Leute um sich hat, denen er vertrauen kann oder die einflußreich genug sind, seine Kämpfe zu führen. Statt dessen stützt er sich auf den Arm seiner Tochter Deng Nan, auf ihre Ohren, ihre Stimme und sogar auf den Kassettenrecorder in ihrer Hand, um seine fast unhörbaren Worte der Weisheit zu verbreiten.

Es ist bekannt, daß Deng Xiaoping sowohl Premierminister Li Peng als auch Parteichef Jiang Zemin nicht ausstehen kann. Beide, meint Deng, haben die Wirtschaft nicht im Griff. Doch nachdem er bereits zwei — von ihm persönlich in den achtziger Jahren auf den Posten gehobene — Parteichefs gestürzt hat, kann er Jiang Zemin nicht entlassen, ohne seine eigene Urteilskraft zu diskreditieren.

Premier Li Peng, wegen seiner Rolle beim Tiananmen-Massaker höchst unbeliebt, kann bis zur nächsten Sitzung des Volkskongresses im kommenden Jahr nicht von seinem Amt enthoben werden.

Der Parteitag wird voraussichtlich eine Erweiterung des Politbüros beschließen. Aber wenn Deng nicht einen Überraschungscoup landet, wird kein potentieller Nachfolger des alten Mannes auf der Bühne erscheinen. Und es werden nicht nur Reformer in der Hierarchie befördert — auch die Konservativen haben darauf bestanden, daß ihre Leute vorrücken, heißt es in Peking.

Die Partei hatte schon lange versprochen, daß der Fall Zhao Ziyang vor oder während dieses Parteitages gelöst werden würde. Am Freitag bestätigte das Zentralkomitee den Beschluß der Hardliner von 1989: Zhao habe die Studentendemonstrationen unterstützt und die Partei gespalten. Er wird nicht rehabilitiert.

Im Zentrum der Parteipolitik der nächsten fünf Jahre steht Dengs Credo, das da heißt: Eine Reform der Wirtschaftspolitik läßt sich erfolgreich mit einem undemokratischen politischen System verbinden. Aber alles, was Dengs Herrschaft bislang bewiesen hat, ist, daß seine Vision nicht funktioniert. Anstatt Harmonie und Stabilität zu erreichen, hat das Zerren zwischen wirtschaftlicher Reform einerseits und Forderungen nach politischer Reform andererseits zu wilden Schwankungen geführt. Wie ein Chamäleon hat Deng in den vergangenen vierzehn Jahren seine Farbe gewechselt: Mal kritisierte er die Linken, mal die Rechten, um das politische Pendel auszubalancieren, das zuerst in die eine, dann in die andere Richtung zu weit ausschlug.

Tatsächlich werden die Widersprüche beim jetzigen Kongreß schärfer denn je sein. Es wird die bislang radikalsten Wirtschaftsreformen geben, wenn die Durchsetzung der Formel „sozialistische Marktwirtschaft“ tatsächlich ein Ende der zentralisierten Planung bedeutet. An der politischen Front jedoch vollzieht sich ein großer Sprung hinter 1987 zurück: Damals stand die Trennung von Partei und Staat auf der Tagesordnung. Das wird dieses Mal nicht einmal diskutiert. Catherine Sampson