„GeOrg — mit der Null in der Mitte“

Grüner Länderrat debattiert Vereinigungsverhandlungen mit Bündnis 90/ Bürgerrechtsbewegung wird den Grünen beitreten/ Als Grundkonsens „ein Haufen Sprechblasen“  ■ Aus Kassel Matthias Geis

Die Stimmung im grünen Länderrat ist auf dem Tiefpunkt: „Wir machen doch hier nicht Maastricht— alle sagen Scheiße, und alle stimmen zu“, faßt die Europaparlamentarierin Claudia Roth die Kritik am Verhandlungsergebnis zusammen. Zur Debatte steht der „Grundkonsens“, den die Verhandlungskommission aus Grünen und Bürgerrechtlern in den letzten Monaten erarbeitet hat. Er soll der künftigen gemeinsamen Organisation („GeOrg“) als inhaltliche Plattform dienen. Doch den Länderratsdelegierten geht der Grundkonsens sichtlich gegen den Strich, weil dort erkennbar jede authentisch grüne durch eine Bündnis-Formulierung konterkariert wird: Wo die eine Seite ihr Politikverständnis mit Begriffen wie „Dialog“, „Konsens“, „Toleranz“ umschreibt, folgen „die nötigen Konflikte und Konfrontationen“ auf dem Fuß; kaum ist die Gewissensfreiheit der Abgeordneten benannt, kommt die „Gesamtverantwortung und Loyalität gegenüber der Organisation“ ins Spiel... Einen „Haufen Sprechblasen“ nennt Bärbel Höhn (NRW) das zehnseitige Papier. Passend sei vor allem der Name: „GeOrg — mit der großen Null in der Mitte“. Das ganze Dilemma formuliert Andrea Fischer (Berlin): „Noch peinlicher als das Papier wäre, wenn wir überhaupt nicht sagen, was wir gemeinsam wollen.“

Trotz der massiven Kritik findet eine substantielle inhaltliche Debatte auf dem eher dünn besuchten Länderrat am Wochenende in Kassel nicht statt. Der versammelte Unmut der Delegierten konzentriert sich weniger auf einzelne Punkte des Papiers, sondern auf den Wunsch der Bürgerbewegung, eine etwaige künftige Veränderung der gemeinsamen Plattform an eine Zweidrittelmehrheit zu binden. Die inhaltliche Grundlage der avisierten Vereinigung soll nicht von jeder x-beliebigen Parteitagsmehrheit revidiert werden können, so der erklärte Bündnis- Wille. „Minderheitenschutz“, schließt Andrea Fischer messerscharf. Den könne man auch „anders organisieren“: „Zwei Jahre Schonfrist“, beispielsweise. Einen „kurzen Grundkonsens“ wünscht sich Angelika Hirschmüller (Berlin). Der Ost-Grüne Ricardo Korf möchte das ganze Problem auf einen Programmparteitag nach der Vereinigung vertagen.

Während ein origineller Vorschlag den andern jagt, wird die Bundesvorstands-Riege auf dem Podium sichtlich nervös. Ludger Volmer, Heidi Rühle, Helmut Lippelt und Christine Weiske sehen den mühsam ausgehandelten Konsens mit den Bündnis-Vertretern gefährdet: „Einige, die hier reden, wollen das Bündnis 90 umstandslos schlucken“, dämmert es Vorstandssprecher Ludger Volmer.

Dabei hatte sich Volmer in seinem Eingangsreferat sichtlich bemüht, das verabredete Procedere der Vereinigung als „völlig neue Art des Zusammenwachsens“ zu präsentieren. Auf zwei parallelen Parteitagen am 16./17. Januar 93 soll der Assoziationsvertrag der Verhandlungskommission mit Zweidrittelmehrheit angenommen werden. Er sieht — neben den inhaltlichen Grundpositionen — den Beitritt des Bündnis 90 zu den Grünen vor. Grundlage der neuen Organisation ist die an einigen Punkten zu verändernde Satzung der Grünen. Nach den Parteitagen müssen die Bündnis-Mitglieder der Auflösung ihrer Organisation— ebenfalls mit Zweidrittelmehrheit zustimmen. Im Mai folgt dann der Vereinigungsparteitag. Zwar, so Ludger Volmer, trete das Bündnis damit „auf der formaljuristischen Ebene“ den Grünen bei, weil sich die Auflösung beider Organisationen zugunsten einer Neugründung als „unpraktikabel“ erwiesen habe; doch dabei gehe es eben nur um die „juristische Folie“. Das Entscheidende seien „die gemeinsamen Inhalte“. Die scharfe Unterscheidung von Form und Inhalt — ganz undialektisch — hat in Kassel Konjunktur.

Der Eiertanz ist programmiert: Dem Bündnis und der Öffentlichkeit gegenüber muß das verabredete Procedere als Form „gleichberechtigten Zusammengehens“ verkauft werden. Als beredte Kritiker der West-Ost-Vereinnahmung müssen die Grünen ihren Weg — wie mühsam auch immer— als den ganz anderen präsentieren. Darin steckt zugleich die Intention, das ernüchterte Bündnis nicht doch noch über die Grenze der Selbstachtung zu treiben. So reden in Kassel die Vertreter des Bundesvorstandes das „Odium des Beitritts“ (Lippelt), das dem Ganzen anhaftet, klein. Stichworte: Grundkonsens, Assoziationsvertrag, Satzungszugeständnisse. Zugleich muß man jedoch die Konzessionen des Bündnisses, den „hohen Preis“, den es zu zahlen bereit ist, in schillernden Farben malen, um die grüne Zustimmung sicherzustellen.

Die diametralen taktischen Erfordernisse produzieren Widersprüche in Folge: Da hält Michael Vesper den Delegierten die Angst der Bürgerrechtler vor Augen, „in den Grünen aufzugehen wie ein Stück Zucker im Tee“. Woher die Angst? Wo Ludger Volmer gerade noch einmal an die „spontane Solidarität, die emotionale Identifikation mit dem Bündnis 90“ erinnert hat, aus der heraus sich doch „die Entscheidung für ein Zusammengehen gespeist“ habe. Angesichts solcher Vereinigungslyrik bewahrt Christine Weiske kühlen Kopf: Das Bündnis werde „beitreten“ — „wir nennen es etwas anders“; dafür wollten die Bürgerrechtler wenigstens die gemeinsame inhaltliche Grundlage verankert wissen und nicht mit einer „furztrockenen Präambel“ abgespeist werden. Schon zuviel der Zumutung? — Helmut Lippelt wirbt mit dem ganzen Pathos historischer Entscheidungen: „Mir war immer klar, daß uns das einen hohen Preis kosten würde.“

Die grünen Kosten halten sich in Grenzen. Über den Grundkonsens wurde in Kassel nicht abgestimmt. Die Festschreibung einer garantierten Anzahl von Bündnis- Vertretern im künftigen, gemeinsamen Bundesvorstand lehnte der Länderrat ab. Sollte das Bündnis auf einer formalen Proporz-Regelung bestehen, sei — für die erste gemeinsame Wahlperiode — eine Mindestquotierung von drei der elf BuVo-Mitglieder vertretbar. Zur symbolisch aufgeladenen Namens- Frage beschloß der Länderrat den Antrag „Grüne voran“ — „Die Grünen/Bündnis 90“.

Fast schon nostalgisch mutete da der ebenfalls in Kassel gefaßte Länderratsbeschluß vom Februar dieses Jahres an, der sich in die Tischvorlage für das aktuelle Treffen verirrt hatte. Zu „paritätischem Zusammenwachsen“ und einem „programmatisch-inhaltlichen Erneuerungsprozeß“ hatten sich die Delegierten damals durchgerungen. Doch mittlerweile — so Michael Vesper — verhandeln die Grünen „aus der Position der Stärke“. Daß demonstratives Selbstbewußtsein das Projekt nicht doch noch gefährdet, das ist jetzt die letzte verbliebene Verhandlungshürde der grünen Delegation.