„Fehlendes Wissen diktierte den Vertragstext“

■ Ex-Ministerpräsident Lothar de Maiziere räumt Fehler bei den Verhandlungen zur deutschen Einheit ein/ Potsdamer Tagung wider das Vergessen

Berlin (dpa) — Die Erinnerung verblaßt, und die Vergangenheit wird passend zurechtgerückt. Viele Märtyrer und Helden sind mit dem Ende der DDR am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik beigetreten. Um diesem gängigen Bild und einer damit verbundenen Geschichtsklitterung entgegenzutreten, belebten am Wochenende in Potsdam aktive und nicht mehr aktive Politiker, Wissenschaftler und Künstler auf einer Tagung der Deutschen Gesellschaft die deutsche Vergangenheit. Gnadenlos zerrten sie einige längst verdrängte Wahrheiten ans Licht. Der SPD- Politiker Erhard Eppler erinnerte ehemalige DDR-Bürger daran, das Tempo sei zuerst nicht von den Bonner Politikern, sondern von den Bürgern des untergegangenen Staates diktiert worden. Mit ihren Demonstrationen und durch das Ergebnis der ersten freien Volkskammerwahl am 18. März 1990 hätten sie für eine schnelle Einheit gestimmt. Daß bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag für die 16 Millionen DDR-Bürger nicht alles gut gelaufen sei, gab auch der letzte Ministerpräsident des ehemals zweiten deutschen Staates, Lothar de Maiziere (CDU), zu. Besonders in der Eigentumsfrage, die sich jetzt als großes Investitionshemmnis erweise, habe die DDR-Seite nicht hart genug verhandelt. Fehlendes Wissen auf beiden Seiten habe den Vertragstext mitdiktiert. „Sie wußten nicht, daß der DDR-Bürger am Grundbuch vorbeilebte, und wir wußten nicht, daß das Grundbuch wichtiger als die Heilige Schrift für sie war“, blickte der putzmuntere CDU-Politiker zurück. Selbstkritisch stellte er sich seiner Verantwortung. „Eine gute Politik zeichnet sich durch Folgenvoraussicht aus... Wenn Sie wollen, dann haben wir schlechte Politik gemacht.“ Das nötigte den Zuhörern ebenso Respekt ab wie das Bekenntnis von Gerhard Schürer, der sich seit 1947 für die DDR engagiert und jahrzehntelang für das SED-Politbüro die Wirtschaftspläne erstellt hatte. Er habe Zeit seines Lebens versucht zu beweisen, daß die Arbeitsproduktivität im Sozialismus höher sei als im Kapitalismus. Dies sei allerdings nicht gelungen. „Damit ist mein Lebenswerk in Trümmer gegangen.“

Wolfgang Thierse, stellvertretender SPD-Chef, will die Vergangenheit denn auch nicht ruhen lassen. Wenn die „nüchterne Selbstprüfung“ ohne jeden Jammerton begonnen habe, könnten die Ostdeutschen gleichberechtigt und mit erhobenem Kopf wie selbstverständlich wieder im vereinten Deutschland mitreden. Heinz Joachim Schöttes