Nachschlag

■ Masaniello Furioso im Hebbel-Theater

Seit zehn Jahren — ungefähr — dirigiert Brynmor Llewelyn Jones seine Berliner Kammeroper, eine Institution also der freien Theaterszene, und der Gentlemen weiß den Applaus sehr wohl zu würdigen, der ihm am Sonntag im Hebbel-Theater gespendet wurde. Llewelyn Jones hat ein Prachtstück ausgegraben: Masaniello Furioso, eine veritable Opera seria für Hamburgs Kaufleute. Reinhard Keiser, langgedienter Operndirektor der Hansestadt zu Beginn des 18. Jahrhunderts, hat sie komponiert, das Libretto eines gewissen Barthold Feind behandelt einen Aufstand von Fischern gegen die spanische Vorherrschaft im Neapel des Jahres 1647.

Klassenverhältnisse also, und so tritt der Chor in grauen Arbeitslumpen auf, die sich ziemlich bis in die Kreuzberger HausbesetzerInnen-Szene um 1985 vererbt haben. Der Adel dagegen ist zurückgeblieben, immer noch sehr Barock, was auch schon die bürgerlichen Kaufleute an der Elbe belustigt haben muß, die gutes Geld in ihre Privatoper steckten. Keiser wußte, wem er diente, und schrieb — vollkommen gattungsfremd — eine komische Rolle in die Partitur: einen Kommentator, der Zeitumstände aus hanseatischer Sicht glossiert und volkstümliche Strophenlieder singt. Regisseur Henry Akina hat aus dem Fremdkörper sehr klug einen Dandy der dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts gemacht, einen Mann also zwischen der musikalischen Historie und der politischen Aktualität des Textes. Masaniello, der Führer des Volksaufstandes wird verraten, das letzte Wort aber, vielmehr die letzte, überraschend einfallsreiche Arie, hat „eine Frau aus dem Volk“. Sie beklagt das Unrecht der Welt und rechtfertigt damit das Recht des Aufstandes. So mochten es die Kaufleute, langweilten sich gepflegt, denn Keiser war kein ganz großer Meister, ließen sich berichten aus fernen Ländern und wußten, daß sie es besser machen würden. Und Liebeslaute wie diese hörten auch sie gar zu gerne: „Wenn ich dich sehe, geht ein Stöhnen durch die Seele.“ Wie wahr. Niklaus Halblützel

Hebbel-Theater, heute bis 18.10., 20 Uhr