Komposition aus Kratzen und Summen

■ „Füllhorn oder Klangtapete?“: Eine Diskussion über Musik in den Medien

Das Kratzen eines Spatens in trockener Erde, summende Fliegen und ein weinendes Kind. Mit diesem akustischen Bausatz komponierte Bob Ostertag eine 43minütige Musik, konstruiert eindrucksvolle Hörbilder. „Mein Vater war ein Kämpfer für das Volk“, sagt der Bub aus El Salvador mit erstickter Stimme, als er mit dem Spaten hantiert. Solche Beispiele medienorientierter Komposition waren spannende Themen in der Veranstaltung „Füllhorn oder Klangtapete?“ im Rahmen der Medientage München '92.

Im Bayerischen Rundfunk hatte man sich den verheißungsvollen Titel ausgedacht, als seien das Gegensätze, gar die einzig möglichen Erscheinungsformen von „Musik in den Medien“. Doch bereitete schon der Begriff „Medien“ Schwierigkeiten: Während die meisten Teilnehmer allein die Rundfunkprogramme als musikalisches Medium betrachteten, brachte Frank Kämpfer vom Deutschlandsender Kultur (DS- Kultur) die Möglichkeit, mit Samplern und geeigneter Software eigene virtuelle Realitäten aufzubauen, in die Diskussion.

Positiv bewertete Peter Niklas Wilson diese Entwicklung. In seinem Referat „Komponieren mit technischen Medien“ beleuchtete er die Strömungen samplergestützter Kompositionsweisen, von Stockhausen bis Bob Ostertag, von John Cage bis Richard Teitelbaum. Mit der Gruppe „Negativland“ wies er auf die Möglichkeiten, mit dem eigenen Medium ironisch und kritisch umzugehen. „Test Department“ gelänge es, durch digitale Schleifenbildung den zynischen Kern eines Bush-Zitates herauszustellen. Peter Niklas wollte gute und schlechte Musik nicht allein nach musikalischen Kriterien unterscheiden und zog auch moralische Aspekte heran: Als ästhetische und materielle Ausbeutung der Dritten Welt bewertete er die Verwendung des indischen Sologesangs in einem Hip- Hop-Song.

Solcherlei Positionen wurden in Gesprächsrunden mit dem Publikum heftig diskutiert, nicht immer zur Zufriedenheit der Beteiligten. Von Frank Schneider, Redakteur bei „Radio DDR II“ — jetzt „DS- Kultur“ — hatte man erwartet, daß er sich den Fragen der ZuhörerInnen stellen würde. Eine Stasi-Diskussion kam aber nicht zustande, da der Referent sofort abreiste, nachdem er umständlich das alte und das neue Programm des Kultursenders aufgeblättert hatte. Die geplante Gegenüberstellung zur „Musik in den Medien des Nationalsozialismus“ führte zu keinem Streitgespräch, zu sehr wollte man die Machtstrukturen der DDR und des Dritten Reiches auseinanderhalten.

Die abschließende Podiumsdiskussion geriet zur Auseinandersetzung über Klassik im Radio, in den gegensätzlichen Präsentationsformen von „Klassik-Radio“ (Jürgen Christ) und dem Klassikprogramm des BR (Joachim Matzner). August Everding hob den Fastfood- Charakter von Klassic-Radio hervor und argumentierte gegen Einschaltquoten: „Minderheiten sind noch nicht minder — Sie werden mich nicht überzeugen, daß Akzeptanz ein Merkmal von Qualität ist.“ Jürgen Christ beharrte dagegen auf dem pädagogischen Wert seines Programms, mit dem er insbesondere Jugendliche für klassische Musik begeistern könne. Nanny Drechsler (Musikhochschule Karlsruhe) und der Komponist Georg Katzer errichteten ihre eigene Klagemauer, an der sie manche Träne vergossen über die zunehmende Infantilität der Gesellschaft (Drechsler) und über die mangelnde Präsenz von zeitgenössischer Musik (Katzer). Helmut Mauro