■ Das Porträt
: Kolumbus

foto nr. 11

Niemand weiß, wie Christoph Kolumbus ausgesehen hat. Wie Gerard Depardieu, oder doch mehr wie die vielen Schönlinge, die ihn in den zahllosen Filmen vorher dargestellt haben. Darüber, wo seine echte Leiche liegt, herrscht seit Generationen großer transatlantischer Streit. Und seine Herkunft ist rechtzeitig zum Kolumbusjahr wieder mal völlig unklar. Italiener, Deutscher, Norweger, Jude, oder vielleicht doch Spanier? Halten wir uns also an die Fakten. Unumstritten ist, daß er 1492 ein Ei so auf den Tisch haute, daß es stand. Danach schwang er sich auf ein Schiff namens Santa Maria, segelte der untergehenden Sonne entgegen, und dann hörte man ziemlich lange nichts mehr von ihm.

Es gilt eines Datums zu gedenken, das die Welt wie nur Weniges verändert hat. Seit es Menschen (und Hühner) gab, herrschte ein ehernes Gesetz auf Erden: Eier können nicht stehen. Die ganze bis 1492 bekannte Geschichte hindurch hatte dieses Gesetz die Welt gewissermaßen im horizontalen Lot gehalten. Kaum jemand hatte je ernsthaft versucht, daran zu kratzen, und wenn es doch mal einer tat, so wurde er verlacht.

Christoph Kolumbus blieb es vorbehalten, nicht nur dieses traditionelle Denken in Frage zu stellen, sondern auch den praktischen Beweis anzutreten, daß mit Kühnheit, Gewalt und Härte die Geschichte einen anderen Weg nehmen kann. Als er, vor nunmehr genau 500 Jahren nach langen mühevollen Vorbereitungen, in einer Kneipe in Sevilla ein Ei so zerdepperte, daß es stand, wußte er nicht, daß er damit die Neuzeit eingeleitet hatte. Er persönlich meinte bis zu seinem Tode, nur eine neue Form der Omelett-Zubereitung gefunden zu haben. In mehreren späteren Eierzerschlagungen gelang es ihm, ein beträchtliches Vermögen anzusammeln. Dennoch starb er verbittert und verarmt, weil erst andere die wahre Dimension seiner kühnen Tat erkannten und brutal nutzten.

Historisch gesehen beginnt mit dem aufrecht stehenden Ei des Christoph Kolumbus das globale Oben und Unten. Oben intakt, unten zerschlagen und gequetscht: ein Aufrechtstehen, das auf der Zerdrückung der Massen beruht. So mischt sich in die Bewunderung für die große persönliche Leistung des Kolumbus die bittere Erkenntnis, daß es für den größeren Teil der Welt besser gewesen wäre, er hätte das Ei in Ruhe gelassen. Thomas Pampuch