Serbo-kroatische Gesprächsrunde in Zagreb bereitet Kompromiß vor

■ Trotz des Krieges in Bosnien-Herzegowina verbindet Serben und Kroaten die Gegnerschaft zu den Muslimanen

Berlin (taz) - Hinter verschlossenen Türen haben gestern in Zagreb Verhandlungen zwischen Kroatien und Serbien begonnen. Es geht schlicht um nichts anderes als um die Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Diese sensationelle Entwicklung - immerhin stehen sich Kroaten und Serben im Krieg in Bosnien gegenüber - hat sich aber schon seit längerem angebahnt. Hauptthema soll die Rückkehr von Flüchtlingen in die von der jugo-serbischen Armee besetzten Gebiete Kroatiens sein. In Wirklichkeit jedoch ist der Gesprächsbogen viel weiter gespannt: Es geht um einen grundsätzlichen Kompromiß in bezug auf die von Serben eroberten Gebiete in Kroatien. Und zu den Verhandlungen gehört auch, die Einflußsphären, wenn nicht sogar die Grenzen innerhalb Bosnien-Herzegowinas, neu abzustecken.

Für viele mag diese Entwicklung überraschend kommen, für mit der Materie vertraute Beobachter jedoch nicht. Trotz der Kriegshandlungen sind nämlich die Gesprächsfäden zwischen Serben und Kroaten niemals ganz abgerissen. Schon Ende November letzten Jahres kam es am Rande der Verhandlungen um die Installierung von UNO-Truppen zu direkten Gesprächen zwischen Tudjman und Milosevic. Auch im Frühjahr in Graz und später im Sommer in Split und Pale (Hauptquartier der Serben bei Sarajevo) kam es zu direkten Gesprächen zwischen Abordnungen Kroatiens und Serbiens beziehungsweise zwischen bosnisch-herzegowinischen Serben und Kroaten. Ende September haben Tudjman und der Präsident Restjugoslawiens, Cosic, die jetzt beginnende Verhandlungsrunde in Genf beschlossen.

Das Interesse beider Seiten hat sich seit der faktischen Aufteilung Bosnien-Herzegowinas geklärt. Tudjman möchte die serbische Seite dazu bringen, die besetzten Gebiete Kroatiens zu räumen und in ihnen die Souveränität Kroatiens wiederherzustellen. Diese Forderung könnte mit weitreichenden Zugeständnissen in bezug auf Autonomierechte der betreffenden Regionen - vor allem der Krajina - der serbischen Seite schmackhaft gemacht werden. Und auch damit, daß die kroatische Seite die weitreichenden Eroberungen in Bosnien-Herzegowina akzeptiert. Ob allerdings Cosic angesichts der innenpolitischen Situation jetzt schon die Kraft dazu findet, auf ein solches Angebot einzugehen, sei dahingestellt. Denn die kroatischen Serben wollen sich keinesfalls einem solchen Kompromiß beugen. Sollte es jedoch zu Neuwahlen in Restjugoslawien und zu einem Sieg des jetzigen Ministerpräsidenten Panic kommen, wäre es durchaus möglich, einen Kompromiß zu schließen.

Dieser Hintergrund erklärt auch die zögerliche Unterstützung der muslimanisch-bosnischen Führung durch Kroatien. Trotz fortwährender Verhandlungen ist es lediglich gelungen, einen gemeinsamen Koordinierungsrat für die militärische Verteidigung zu installieren, der offensichtlich nicht besonders erfolgreich agiert. Die Gerüchte, daß während der serbischen Offensive in Bosanski Brod die kroatischen Truppen freiwillig das Terrain räumten, wollen auch nicht verstummen. Weiterhin warten Zehntausende von muslimansichen Flüchtlingen an der Grenze zu Kroatien. Sie dürfen sie jedoch nur überschreiten, wenn sich ein Aufnahmeland für sie findet. Und nicht zuletzt die Kontrolle der Kroaten über den Waffenzufluß für die Muslimanen hat die bosnische Führung verärgert.

Es ist sogar anzunehmen, daß die serbische wie auch die kroatische Führung in bezug auf die Muslimanen übereinstimmende Ansichten vertreten. Gefürchtet wird von beiden Seiten die Installierung eines „Islamischen Staates“ auf dem Balkan. Da für die Nationalismen beider Seiten der Bezug auf die jeweilige Religion - in Serbien die Orthodoxie, in Kroatien der Katholizismus - von konstituierender Bedeutung ist, sind solche Übereinstimmungen durchaus realistisch. Ober, wie dies ein führender Berater Tudjmans kürzlich gegenüber dem Verfasser ausdrückte, „beide Seiten können keinen bosnisch-herzegowinischen Staat dulden, der unter der Kontrolle der Muslimanen steht.“ Die Kantonisierungsmodelle für Bosnien sowohl der kroatischen wie der serbischen Seite ähneln sich in diesem Punkt: das muslimanisch-bosnische Gebiet muß so klein sein, daß es nicht lebensfähig und damit abhängig von beiden Staaten ist. Da die beiden „christlichen Staaten“ mit dieser Argumentation bei manchen europäischen Regierungen, auch in Frankreich, auf Verständnis stoßen, könnte ein serbo- kroatischer Kompromiß auch von dieser Seite mit Wohlwollen betrachtet werden. Um jedoch den Bruch vieler internationaler Vereinbarungen zu umgehen, soll deshalb bei einer Friedensregelung zunächst vom formalen Fortbestand eines bosnisch-herzegowinischen Staates ausgegangen werden. Erich Rathfelder