Cäsium: Nur zur Erspressung geeignet

Die Ermittlungsbehörden glauben, daß die in Frankfurt aufgeflogenen Atomschmuggler mit dem Material interessierte Käufer aus der Dritten Welt betrügen wollten  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Frankfurt/Main (taz) — Das radioaktive Schmuggelgut aus Litauen, das in der vergangenen Woche in der Bundesrepublik und der Schweiz sichergestellt worden ist, eignet sich nur für „kriminelle und erpresserische Zwecke“. Davon jedenfalls geht die hessische Landesregierung nach Aussagen ihres Vize-Sprechers Georg Clemens Dick aus. Mit den bislang in Frankfurt/ Main und in der Schweiz sichergestellten Mengen an Cäsium137 und Strontium90 lasse sich weder nuklearmedizinisch noch nukleartechnologisch „etwas anfangen“. Anders verhalte es sich dagegen mit den angeblich noch durch die Bundesrepublik vagabundierenden 20 Kilogramm Uran235 — „obgleich ich nicht bestätigen kann, daß es sich dabei um waffenfähiges Material handelt“, so Dick.

Drei Tage, nachdem ein Bleibehälter mit Caesium137 in einem Frankfurter Bahnhofsschließfach und ein weiterer mit Strontium90 im Kofferraum eines BMW sichergestellt worden waren, scheinen die Ermittlungsbehörden noch immer nicht zu wissen, an wen die festgenommenen fünf Polen und eine Deutsche das Material liefern sollten. Fest steht lediglich, daß das beschlagnahmte radioaktive Material aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) stammt. Und fest steht offenbar auch, daß sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion europaweit ein schwarzer Markt für radioaktive Stoffe herausgebildet hat.

Dafür, so hieß es bei der Strafverfolgungsbehörde gestern, spreche auch der Schweizer Fall aus der vergangenen Woche. Dort waren drei Polen und ein Ex-Pole deutscher Staatsangehörigkeit mit zwei Gramm Cäsium137 aufgeflogen, das als das teure Schwermetall Osmium deklariert gewesen war. Weil zwei der Schmuggler — ein Pole und der Deutsche — eine vermutlich tödliche Dosis radioaktiver Strahlung aufnahmen, verzichtete die Schweizer Polizei auf eine Verhaftung.

Die beiden hatten die Blechschachtel, in der sie Osmium glaubten, teilweise direkt am Körper getragen. Das Cäsium137 stammte aus Vilnius in Litauen.

Bei der Vernehmung des verstrahlten Deutschen in der vergangenen Woche von LKA-Beamten in Anwesenheit von Experten des hessischen Umweltministeriums sei bekannt geworden, daß die Hintermänner der Cäsiumhändler von Bochum aus agierten. Ob der strahlenkranke Mann den Ermittlungsbehörden auch den entscheidenden Tip zur Aufdeckung des Atomdeals in Frankfurt/Main gegeben hat, bestätigten die Behörden gestern nicht. Dafür spricht aber, daß sich zwei der fünf Polen, die in Frankfurt festgenommen wurden, im Hotel „Mondial“ mit Heimatadresse Bochum in das Gästebuch eingetragen hatten.

Noch erschließen sich den zuständigen Behörden die Hintergründe des Geschäfts nur bruchstückhaft. Wie aus dem hessischen Umweltministerium zu hören war, würden derartige radioaktive Stoffe vornehmlich in „betrügerischer Absicht“ auf dem schwarzen Markt angeboten. Nach Auffassung der Frankfurter Staatsanwaltschaft besteht die Kundschaft vor allem aus Agenten von Dritte- Welt-Staaten, die dabei seien, kerntechnische Anlagen zu entwickeln. Die Agenten würden mit angeblich versuchstauglichem Spaltmaterial geködert und bekämen dann das völlig untaugliche Strontium90 untergejubelt. Schließlich stehe den potentiellen Käufern in der Regel nur ein Geigerzähler zur Materialprüfung zur Verfügung — und kein Strahlenspektrometer.

Die in die Schweiz gereisten Atomschmuggler hatten angeblich Osmium im Angebot, ein Edelmetall, das mit 30.000 bis 100.000 DM per Gramm gehandelt wird. Tatsächlich aber transportieren sie als „ahnungslose Boten“ — so der beteiligte Deutsche — das strahlende Cäsium137. Nach seiner Aussage hatten bereits die Diebe des Cäsiums den Zwischenhändler in Vilnius belogen, indem sie ihm das Caesium als Osmium andrehten, das zur Metallhärtung beispielsweise bei der Füllfederspitzenherstellung Verwendung findet.

Hinter vorgehaltener Hand wurden im hessischen Umweltministerium gestern bereits Szenarien diskutiert, die bis hin zur möglichen Erpreßbarkeit von Regierungen durch die neuen „Händler des Todes“ reichten. Umweltminister Fischer und Innenminister Günther haben jedenfalls die Bildung einer „Arbeitsgruppe Strahlenverdacht“ angekündigt, damit, so Regierungssprecher Dick, in Zukunft die Einsätze gegen die Atomdealer „so reibungslos ablaufen, wie die Einsätze am vergangenen Freitag“.