Das Thema Asyl zerreißt die SPD

■ Seit dem Wochenende ist die SPD-Führung alarmiert: Fünf Wochen vor ihrem Bonner Sonderparteitag muß sie feststellen, daß viele Delegierte Björn Engholm auf seinem neuen Asylkurs nicht folgen wollen

Das Thema Asyl zerreißt die SPD

Nimm nie ein Thema, das die eigene Partei spaltet- diese Faustregel habe er in allen Wahlkämpfen seit 1972 gelernt, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Albrecht Müller. Fünf Wochen vor dem Sonderparteitag sehen alle Beteiligten einen Riß in der Partei. Die Kritiker der Petersberger Wende, zu denen Müller gehört, können zwar zufrieden bilanzieren, daß die Wende in der Asylpolitik von den Delegierten der Landes- und Bezirksparteitage nicht angenommen wird. Aber was, wenn Björn Engholm tatsächlich verliert? Den Kanzlerkandidaten und Parteivorsitzenden will niemand „beschädigen“.

Diese Redewendung, fast so alt wie das Petersberger Papier selbst, kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Schaden für den Parteichef erheblich wäre. Der wiederum und alle, die in der Parteiführung die neuen Asylpositionen befürworten, sind seit dem vergangenen Wochenende endgültig alarmiert. Der Bezirksparteitag Mittelrhein war eine rauschende Niederlage für Engholm- und nicht die erste.

Wenn die Parteiführung zusammenrechnet, auf wen sie sich stützen kann, wenn es am 16. November in der Bonner Beethovenhalle zum Schwur kommt, dann muß sie sich sagen: Sicher sind nur die östlichen Landesverbände. Der hessische Landesparteitag, der den Reigen der Ablehnung eröffnet hatte, kann nun längst nicht mehr als ärgerlicher, aber verkraftbarer Ausrutscher gelten. Inzwischen hat die baden-württembergische Basis der Landesführung die Zustimmung zum gemeinsamen Asylbeschluß mit der CDU verweigert. In der Pfalz kämpfte Landeschef Rudolf Scharping vergeblich für den neuen Kurs. In Bayern hat Spitzenkandidatin Renate Schmidt den Vorstand nicht überzeugen können, und die Bezirke Mittelfranken und Schwaben ziehen nicht mit. Das Nein der Bremer Partei liegt vielleicht im Bereich des Erwartungsgemäßen, so wie die Kritik des niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder.

Aber das Bild aus zwei der vier nordrhein-westfälischen Bezirke ist völlig überraschend. In der Bastion Westliches Westfalen konnte der gewiefte Parteitaktiker Franz Müntefering seinen Vorstand nicht eindeutig gewinnen. Der Bezirk Mittelrhein votierte nach achtstündiger Debatte für die Beibehaltung von Artikel 16. Die Attacke des Parlamentarischen Geschäftsführers Peter Struck auf den ehemaligen SPD-Vorsitzenden und der Appell an dessen Loyalität ist nicht anders denn als Hilferuf zu verstehen. Wer anders als Hans- Jochen Vogel wäre in dieser Situation noch imstande, in einer gespaltenen SPD Brücken zu bauen?

Der Streit um das Grundrecht auf Asyl ist in seiner Heftigkeit allein aus der Sache selbst nicht zu verstehen. Nicht bei allen, die gegen die mit Petersberg signalisierte Bereitschaft zur Grundgesetzänderung opponieren, geht es um ein prinzipielles Festhalten am Artikel 16. Mehrere Parteibeschlüsse sehen vor, das Grundgesetz am Ende einer europäischen Harmonisierung zu ändern. Aber vielen gilt es als Verstoß gegen das Selbstverständnis der SPD, wenn die sich als „Stimmungspartei“ verhält. Nicht nur der linke Frankfurter Kreis fürchtet, daß die SPD „auf die schiefe Ebene“ gerät, wenn der Parteivorsitzende Politik nach vermeintlichen oder tatsächlichen Bevölkerungsmehrheiten ausrichtet, sich nach dem Druck der Union mehr als nach den eigenen Grundsätzen richtet. Geschickte Formulierungen reichen in diesem Falle nicht, um den Riß zu kitten.