Mit Dorfsheriff gegen Gewerkschafter

■ Verfahren vor dem Amtsgericht Itzehoe: Unternehmerin behinderte die Wahl eines Betriebsrates und überzog Beschäftigte mit falschen Anschuldigungen / Plötzlich hatte die Gutsherrin einen Horror vor...

und überzog

Beschäftigte mit falschen Anschuldigungen / Plötzlich hatte die Gutsherrin einen Horror vor langen Haaren

Um die Wahl einer Belegschaftsvertretung in ihrem Betrieb zu verhindern, ließ sich vor zwei Jahren die Brokdorfer Optik-Unternehmerin Monika Reichmann allerhand einfallen: Keine Raffinesse blieb ungenutzt, um die IG Metall auflaufen oder besser ins Leere laufen zu lassen. Doch nunmehr möchte sie nicht die Quittung für ihre Attacken zahlen. Mit Händen und Füßen wehrt sich die 47jährige seit gestern vor dem Itzehoer Amtsgericht gegen einen Strafbefehl in Höhe von 180 Tagessätzen zu je 400 Mark (72000 Mark), den die Justiz schon im Februar gegen sie erlassen hatte — wegen „Behinderung eines Betriebsverfassungsorgans“ und „falscher Anschuldigung“.

Monika Reichmann hatte damals eine Menge Stolpersteine parat: So verlegte sie kurzerhand eine von der IG Metall einberufene Betriebsversammlung, auf der ein Wahlvorstand zur Betriebsratswahl bestellt werden sollte, um drei Tage vor, ohne die Gewerkschaft davon in Kenntnis zu setzen. Ein anderes Mal verwehrte sie dem zuständigen Elmshorner IG Metall-Sekretär Uwe Zabel den Zugang zur ihrem Betrieb: Obwohl sie sich Tage zuvor in einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht verpflichtet hatte, den Gewerkschafter ins Haus zu lassen, ließ sie Zabel dann durch den Dorfsheriff vor die Tür setzen. Für diesen Vorgang entschuldigte sich später das Kieler Innenministerium. In einem anderen Fall gewährte sie Zabel zwar Zutritt zu ihrem Unternehmen, sie hatte aber zuvor Teile ihrer damals 27köpfigen Belegschaft ohne Einhaltung von Fristen in Kurzarbeit nach Hause geschickt, um so ein Zusammentreffen zu verhindern.

Auch nach der Betriebsratswahl machte Monika Reichmann den gewählten BelegschaftsvertreterInnen die Hölle heiß, überzog die Betriebsräte mit einer Vielzahl an Abmahnungen, Kündigungen und Hausverboten. Allein dem Betriebsratsvorsitzenden Carsten Schroeder erteilte sie mehrfach Hausverbot, weil angeblich seine Haare zu lang seien. Zur Vorgeschichte: Schroeder, der in dem Unternehmen als Meister beschäftigt war und dessen Trauzeugin Monika Reichmann in guten Zeiten gewesen war, hatte immer schon lange Haare. Ein anderes Mal bezichtigte sie Schroeder, Linsen geklaut und an das DGB-Berufsfortbildungswerk verscherbelt zu haben. All diese Beschuldigungen sind später vom Elmshorner Arbeitsericht als unbegründet zurückgewiesen worden.

Dennoch scheint die Optik-Unternehmerin einen Teil ihres Kampfes gewonnen zu haben: Wegen der Flut an Anzeigen und falschen Anschuldigungen und weil sie den täglichen Psychoterror nicht mehr aushielten, haben mehrere Betriebsräte inzwischen fristlos gekündigt. Sie klagen jetzt vorm Arbeitsgericht auf Schadensersatz. Einen Betriebsrat gibt es in dem Brokdorfer Unternehmen seitdem nicht mehr.

Und auch gestern konnte Monika Reichmann zumindest einen kosmetischen Punktsieg erreichen: Das Verfahren wurde nach nur einer Stunde vertagt, weil die Justiz eine vor ihr verfaßte „Schutzschrift“ verschlampt und nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet hatte. Ihr Anwalt, medienerprobt in Richtung Staatsanwalt: „Wenn Sie die Schutzschrift gelesen haben, plädieren Sie auf Freispruch.“

Derartige Betriebsverfassungsverfahren haben Seltenheitscharakter: Nach IG Metall-Angaben sind lediglich knapp 100 Fälle bekannt, wo es überhaupt zur Anklage gekommen ist. Nur rund zehn Fälle seien durch einen Prozeß mit Beweisaufnahme und gerichtlichem Urteil zum Abschluß gebracht worden. Im „Fall Reichmann“ hatte der IG Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler persönlich den Strafantrag gegen die Brokdorfer Gutsherrin gestellt. Der Prozeß wird am 3. November fortgesetzt.

Kai von Appen