Cowboys und bikende Boten

■ Fahrradkuriere tragen die Straßenverkehrsordnung nicht unterm Arm/ Sechs Kurierdienste sorgen für schnelle Beförderung von Sendungen/ 100 Kilometer am Tag

Berlin. „Ampeln sind nur Fahrvorschläge“ — diese Überzeugung hat der 19jährige Stefan Ferworm in seiner nur sechswöchigen Praxis als Fahrradkurier gewonnen. Außerdem hat er erfahren, daß Fahrradwege für seine Zunft ungeeignet sind: „Entweder sind die zugestellt, oder eine Oma läuft einem in den Weg, ohne zu gucken. Bei vierzig Stundenkilometern ist die dann weg.“ Weniger drastisch formuliert Ingo Brunner von „berolino“, dem ersten Ostberliner Fahrradkurierdienst, die wichtigste Regel: „Du darfst dich niemals darauf verlassen, daß sich Autofahrer an die Verkehrsregeln halten. Vor allem in Ost-Berlin fahren die oft einfach blind drauflos.“

Ein Ständchen für die Damen als Sonderauftrag

Hundert Kilometer strampelt ein Kurier im Tagesdurchschnitt, am Leib wetterfeste Goretex-Kleidung, auf dem Rücken einen grellbunten wasserdichten Plastikranzen, in dem Briefe, Dokumente, Blutproben und kleine Frachten bis zu zwölf Kilo transportiert werden. Neue Aufträge gibt die Zentrale per Funk durch — auch die etwas ungewöhnlicheren: „Neulich mußte ich Blumen für drei alte Grunewalder Damen kaufen und ihnen ein Ständchen bringen“, erzählt Ingo Brunner.

„Der Cowboy hat schließlich auch sein eigenes Pferd“

Von den sechs Berliner Fahrradkurierdiensten ist der 1989 gegründete „messenger“ der älteste. Mit fünfzig bis sechzig Radlern, die pro Tag im Einsatz sind, ist er gleichzeitig der größte Deutschlands. Die Boten — in der Regel junge Männer unter 25 — sind bei den Kurierdiensten nicht fest angestellt, sondern bekommen die Aufträge von ihnen vermittelt und führen dreißig Prozent des Umsatzes an sie ab. Natürlich fahren sie auch auf ihren eigenen Rädern — „der Cowboy hat sein eigenes Pferd“, wie es Achim Beier, Geschäftsführer von messenger, ausdrückt. Der ideologische Streit zwischen Rennradlern und Mountain Bikern ist übrigens noch unentschieden.

Je effektiver der tägliche Dauerstau die Berliner Straßen verstopft, desto besser läuft die Konjunktur für den Transport per Fahrrad. Die Kuriere von berolino haben getestet, daß sie per Rad zur Hauptverkehrszeit von der Frankfurter Allee zur Prenzlauer Allee zehn Minuten brauchen, im Auto dagegen eine halbe Stunde. Weil viele Kunden ausdrücklich einen Transport per Fahrrad wünschen, schaffen sich auch immer mehr traditionelle Kurierdienste ein paar Fahrräder an. „Unsere Kunden auf dem Ku'damm könnten wir ohne unsere drei Räder gar nicht bedienen“, sagt Gümüsdere Zafer, Geschäftsführer von „Der Bote“.

Im Gegenzug haben die meisten Fahrradkurierdienste auch Lieferwagen und Motorräder zur Verfügung, um auch größere Lasten befördern zu können. „Allein mit Fahrrädern kann man nicht überleben“, erklärt Ralf Schikowski, der Gründer von berolino: „Die Stammkunden müssen wissen, daß wir im Prinzip alles transportieren können.“

Gemeinsame Interessen siegen über Konkurrenzgefühle

Zwischen Ost- und Westberliner Fahrradkurieren ist der Markt weitgehend aufgeteilt. messenger bedient vor allem Kunden im Westteil, während in der Kundenkartei von berolino fast nur Ostberliner verzeichnet sind. „Zum Teil liegt das an den kürzeren Anfahrtswegen — aber vor allem wollen die Ostler einfach lieber Ostler“, erklärt Ingo Brunner. Trotz des Konkurrenzdenkens haben die Vertreter der jungen Branche aber gemeinsame Interessen, die sie bald wohl auch gemeinsam vertreten werden: Vor zwei Wochen trafen sich am Rand der Fahrradmesse in Köln Delegierte von dreißig der etwa vierzig deutschen Fahrradkurierdienste, um die Gründung einer bundesweiten Organisation für ihr Gewerbe vorzubereiten. Miriam Hoffmeyer