■ Das Porträt
: Vladimir Meciar foto nr. 11

Wohl kein Politiker hat der tschechoslowakischen Öffentlichkeit in den vergangenen Monaten so viele Rätsel aufgeben wie Vladimir Meciar. Starke Föderation, selbständige „Slowakische Republik“, Konföderation, — das sind die staatsrechtlichen Forderungen, für die sich der 1942 geborene „starke Mann“ der Slowakei seit seiner Wahl zum slowakischen Ministerpräsidenten im Juni 1990 stark gemacht hat. Doch wer Vladimir Meciar bei Pressekonferenzen oder Parlamentsdebatten einmal „in Aktion“ erlebt hat, dem wird klar, daß der ständige Positionswechsel des ehemaligen Amateurboxers in erster Linie von der Erfahrung wiederholter k.-o.-Niederlagen ausgelöst wird. Dem wird klar, daß es sich hier um die verletzte Eitelkeit eines Politikers handelt, der sich gegenüber den Intellektuellen Prags stets „minderwertig“ vorkam: Nachdem Meciar die von slowakischen Oppositionellen um Vaclav Havel und Alexander Dubcek während der „samtenen Revolution“ gegründete Bürgerbewegung „Öffentlichkeit gegen Gewalt“ verlassen hatte, war er von diesen kurzerhand zur Niederlegung seines Amtes als Ministerpräsident gezwungen worden. Und während der ehemalige kommunistische Jugendfunktionär, der nach dem Prager Frühling aus der Partei ausgeschlossen worden war, sich bisher als Anhänger einer mit umfassenden Kompetenzen ausgestatteten Föderalregierung ausgesprochen hatte, trat er nun beleidigt für die völkerrechtliche Anerkennung der Slowakei ein. Zu einem erneuten Positionswechsel kam es dann wenige Wochen vor seinem Wahlsieg bei den Parlamentswahlen im Juni 1992. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten einer unabhängigen Slowakei mehr ahnend als analysierend, sprach er sich nun für eine „enge Verbindung“ der Tschechischen und der Slowakischen Republik aus.

Seine Bedürfnis, den Prager Zentralisten „eins auszuwischen“, kam zuletzt in seinem Angebot eines „slowakisch-deutschen Freundschaftsvertrages“ zum Ausbruch: Meciar erklärte sich bereit, die 1945 aus der Slowakei vertriebenen Karpatendeutschen zu entschädigen. Kein Wunder, daß die Prager Regierung — mit Blick auf die Sudetendeutschen — entsetzt aufschrie, kein Wunder, daß sie den heutigen Besuch des slowakischen Ministerpräsidenten in Bonn aufmerksam verfolgen wird. Sabine Herre