"Nicht den Eindruck der Befangenheit erwecken"

■ Ex-Mitglied der Juristen-Vereinigung Lebensrecht entscheidet über Paragraph 218

Mannheim (taz) — Einer der acht Richter, die in Karlsruhe über die Verfassungsmäßigkeit des neuen §218 entscheiden, hat sich am 23.9. 86 bei der „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ als Mitglied eingeschrieben: Prof.Dr.Ernst-Wolfgang Böckenförde. Seine Stimme könnte beim Urteil über die Klage der bayerischen Staatsregierung und der 248 CDU/CSU-Bundestagsmitglieder ausschlaggebend sein, denn er gehört nicht zu den vier von der CDU vorgeschlagenen Richtern, sondern wurde von der SPD berufen. Die „Juristen-Vereinigung Lebensrecht“ (JVL) ist ein exklusiver Zirkel von rund 800 Abtreibungsgegnern, der nicht nur jede Fristenregelung verhindern, sondern die geltenden Indikationen des §218 noch massiv verschärfen will. So fand der Gesetzentwurf der Unionsmehrheit die ausdrückliche Billigung der JVL. Mit der Verabschiedung des neuen §218 habe sich „der Deutsche Bundestag... aus der abendländischen Rechts- und Kulturgemeinschaft verabschiedet“, kommentiert Rechtsanwalt Philipp in der FAZ, Staranwalt und Mitbegründer der JVL. „Der gesamte Nachwuchs unseres Volkes muß in Zukunft durch einen Todeskorridor von drei Monaten, in dem er gänzlich schutzlos ist.“ Die Aktivitäten von JVL-Mitgliedern reichen von zahlreichen Angriffen auf die Krankenkassenfinanzierung („Abtreibung als öffentlich-rechtliche Kassenleistung—eine zentrale Frage des Rechtsstaates“, RA Philipp), bis zu Bemühungen, das Sorgerecht eines Vaters über „seinen Embryo“ beim Vormundschaftsgericht zu erstreiten.

Einstweilen arbeitet die JVL darauf hin, den §218 in der Praxis auszuhöhlen: Die Kirchen fordert sie zum Ausstieg aus dem gesetzlichen Beratungssystem auf, denn der Beratungsschein sei ein „Todesurteil“; die Ärzteschaft solle sich aus Gewissensgründen nicht an „Fristenabtreibungen“ beteiligen. Ziel einer gemeinsamen Arbeitstagung von „Lebensschützer“- Organisationen Anfang September '92 war die „Selbstverpflichtung der Ärzte“. Neben internationalen „Lebensschützer“-Größen aus dem medizinischen Bereich fanden sich dort der Vorsitzende der JVL und der stellvertretende Präsident der Landesärztekammer Hessen, Dr. Wolfgang Furch, ein. Gemeinsam distanzierten sie sich „vom Mißbrauch der Medizin zum Töten und absichtlichen Krankmachen durch den pluralistischen Staat und die moderne Konsumgesellschaft“.

Bei der Anhörung des Bundestagsausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens“ anläßlich der Neuregelung des §218 waren zahlreiche JVL-Mitglieder als Experten geladen. Die Ausarbeitungen der JVL bilden die Grundlage für die Schriftsätze der Klagevertreter gegen die Fristenregelung, ungeniert wird direkt aus ihrer internen Schriftenreihe zitiert. Der eigens vom Verfassungsgericht bestellte Gutachter Rolf Stürner ist ebenfalls JVL-Mitglied und für sie bereits öffentlich als Experte für den „Schutz des ungeborenen Kindes im Zivilrecht“ aufgetreten.

60 Verfassungsrechtsprofessoren, darunter zehn ehemalige Bundesverfassungsrichter, haben sich vor der Abstimmung im Bundestag in einer Anzeigenkampagne der JVL „gegen jede Fristenregelung“ ausgesprochen. „Die amtierenden Verfassungsrichter wurden nicht nach ihrer Auffassung gefragt, um sie nicht der Gefahr der Befangenheit auszusetzen“, ließ der Vorsitzende des Vereins, Richter Bernward Büchner aus Freiburg, mitteilen.

Auch Böckenförde selbst will so leicht keinen Verfahrensfehler riskieren: Als im Februar 1990 die erste bayerische Verfassungsklage gegen den §218 eingereicht wurde, trat er wieder aus der JVL aus, eben „um nicht den Eindruck der Befangenheit zu erwecken“. Barbara Ritter