„Mer hats reschelrescht de Kraft gelähmt“

Erstes Opfer des Weimarer Bilderdiebstahls war der Wachdienst/ Der gut geplante Raub war offensichtlich Auftragsarbeit: Cranach ging, Dürer und Tintoretto blieben  ■ Von Henning Pawel

Erfurt/Weimar (taz) — „Laß es bimmeln“, beruhigte der Wachmann im Weimarer Schloß zuerst sich und dann den Wachhabenden der Polizeidienststelle, bei dem der Alarm parallel am Montag morgen gegen vier Uhr einlief. „Das ist weiter nichts als wieder mal ein Fehlalarm.“

Privater Wachmann und polizeilicher Wachhabender lehnten sich beruhigt in ihren Dienststühlen zurück und warteten geduldig auf das nächste Bimmelsignal, das einige Minuten später einsetzte. Nun wurde unser Wach- und Schließer im Weimarer Schloß aber so „rischtisch aktiv un feschte in flieschender Hast“ zu jenen durch den Alarm gekennzeichneten Räumen. „Und da hats mer reschelrescht de Kraft meiner Hände gelähmt.“ Acht Bilder samt der Rotbuchholzrahmen fehlten in der weltberühmten Galerie. Alles Werke Cranach des Älteren beziehungsweise aus seiner Werkstatt. Unter anderem „Martin Luther als Junker Jörg auf der Wartburg“, das Bildnis der Katharina von Bora, Luthers späterer Frau, die Porträts des Kurprinzen Johann Friedrich und der Prinzessin Sibylle von Cleve. In den Jahren 1521/22, 1526 entstanden.

Vor dem Raubzug hatten die Täter offensichtlich in aller Ruhe die starken Eisengitter vor den Schloßfenstern durchgesägt, die Scheibe aufgebrochen und waren eingestiegen.

Sehr bemerkenswert das Tempo der Polizei, die trotz der unglaublichen Schlamperei des Wachmanns bereits gegen 4.15Uhr einen 30 Kilometer breiten Sperrgürtel mit Fallen und Kontrollpunkten um die Stadt gelegt hatte. Leider vergeblich.

Weimars Oberbürgermeister, Dr.Büttner, erwägt nun, eine Summe von 100.000 Mark als Belohnung auszusetzen, um der gestohlenen Kostbarkeiten im Werte von 63 Millionen wieder habhaft zu werden. Bemerkenswert auch die Zuversicht des zuständigen Staatsanwaltes, der frohgemut seine Überzeugung zum Ausdruck brachte, daß es für Kunstwerke von solchem Rang ohnehin keinen Markt gibt.

Bleibt also die Frage, warum die Bösewichte überhaupt gemaust haben. Am Ende für die eigene gute Stube? Um neben der Aldi- Schrankwand wenigstens einen echten Cranach aufzuhängen? Um Lösegeld für die alten Meister zu erpressen? Oder für den geräumigen Tresor eines betuchten Privatsammlers?

Der Raub brachte noch einige fatale Erkenntnisse an den Tag. Sämtliche Gemälde der Weimarer Kunstsammlung sind nicht versichert. Die Versicherungsprämien, so OB Büttner, überstiegen bei weitem die Möglichkeiten der Weimarer Kommune, daher auch die Verpflichtung jener privaten Wach- und Schließgesellschaft.

Der gut geplante Raubzug hat so gar nichts mit jenem gescheiterten Kunstraub kurz vor der Wende im Gothaer Schloß gemein, der monatelang die Lachmuskeln der Thüringer reizte. Eine Diebesbande hatte einen zwölfjährigen Roma mit Versprechungen gelockt, sich im Schloß einschließen zu lassen, um dann, nach Einbruch der Nacht, den Unholden beim Einstieg behilflich zu sein. Als das Mondlicht in die Räume drang und die alten Eichendielen des Hauses unheilvoll zu knacken begannen, schrie der Ärmste, der den langen Tag unter der Ottomane von Großherzog Heinrich verbracht hatte, vor Entsetzen Zeter und Mordio und konnte von dem damals noch sozialistischen, und daher doppelt wachsamen Wachmann dingfest gemacht und der Gerechtigkeit übereignet werden.

Diesmal waren die Objekte vorher sehr gezielt ausgewählt worden. Wenige Meter von Cranachs gestohlenen Meisterwerken hängen unberührt Dürers weltberühmte Tucherporträts. Auch Werke von Tintoretto und Monet hätten den nächtlichen Besuchern zur Verfügung gestanden. Vielleicht klappt's ja beim nächsten Mal.

Allerdings wird ein neuer Wachmann eingesetzt. Der alte hat zwar versichert, „daß er sich bewähren will und beim nächsten Mal erbarmungslos auf die Schufte drauflosgeht“, aber in Weimar glaubt ihm niemand mehr. Er wird gefeuert. Und wenn er jetzt noch den Schaden ersetzen muß, wird's im nächsten Jahr halt wieder nichts mit Mallorca.