„Im Tod wird der Mensch nicht schöner“

■ Zehntausende von BerlinerInnen werden morgen am Sarg von Willy Brandt im Schöneberger Rathaus defilieren/ Ehrenwache, Fahnen und Blumen

Berlin. Morgen, ab 8 und bis 16 Uhr, haben die BerlinerInnen die Möglichkeit, sich im Rathaus Schöneberg von Willy Brandt zu verabschieden und in das Kondolenzbuch einzutragen. Der Sarg wird in der Vorhalle aufgebahrt, acht Beamte der Berliner Polizei halten die Ehrenwache. Die Außenstelle des Bundesinnenministeriums, verantwortlich für die Organisation des Trauertags, des Staatsakts und der Überführung des Sargs zum Friedhof, rechnet mit einem „ungeheuren“ Interesse.

Entäuscht werden aber all die Neugierigen, die einmal im Leben ihrem Willy Brandt ganz nah sein und direkt ins Gesicht schauen wollten. Der Sarg bleibt geschlossen. In Deutschland ist die offene Aufbahrung unüblich geworden, berichtete ein Mitarbeiter des für die Bestattung zuständigen Unkeler Unternehmens Muss. Offene Aufbahrungen seien allenfalls noch bei sehr katholischen Feiern in Süddeutschland zu finden. Auch die Berliner Beerdigungsinstitute können sich nicht erinnern, daß in der Stadt jemals ein Politiker im offenen Sarg zu sehen gewesen sei. Nicht nur die protestantische Tradition in Preußen verhindert diese Form der Totenehrung, auch ästhetische Gründe sprechen dagegen. Der Berliner Bestattungsexperte Berg: „Im Tod wird der Mensch nicht schöner.“ Die Würde des Abschieds werde verletzt, wenn bei dem Toten die Spuren eines intensiven Lebens verstärkt sichtbar werden. Die Körper von ehemaligen Rauchern zum Beispiel verfärben sich im Tod gelblich, und Medikamente, so wie sie Willy Brandt lange hatte nehmen müssen, hinterlassen ihre Zeichen. Die geschlossene Aufbahrung sei bei prominenten Toten auch eine Frage des Takts. Es sei ein Zeichen des Respekts und der Trauer, am geschlossenen Sarg zu defilieren. „Die Neugier von Schaulustigen sollte nicht befriedigt werden.“ Eine offene Aufbewahrung sei, mehr als eine Woche nach dem Tode, auch nur dann möglich, wenn der Körper durch ein aufwendiges Verfahren einbalsamiert werde, bestätigte das Unternehmen Grieneisen.

Die Konservierung des Körpers von Lenin im Moskauer Mausoleum sei allerdings nie eine besonders extensive Form der Trauer gewesen, sondern eine politische Mahnung, das Erbe Lenins für alle Zeiten zu hüten. Früher sei es in Osteuropa üblich gewesen, die Toten zwei bis drei Tage offen in den Trauerhallen aufzubahren, in den sozialistischen Zeiten sei dieser Brauch aus antireligiösen und hygienischen Gründen verboten worden. In ländlichen und katholischen Gegenden der USA gelte dieser Brauch noch, unterläge aber strengen Auflagen.

Ein Charlottenburger Pietäts- Institut berichtete von amerikanischen Beerdigungsunternehmen, die sich auf die „kosmetische Behandlung von Toten“ spezialisiert haben. Während einer Weiterbildungsreise nach Georgia hätten sie erfahren, daß es dort Sekten gäbe, die aus Widerstand gegen Auflagen des Gesundheitsamtes ihre Toten heimlich sieben Tage lang in Privathäusern aufbahren. Ihr Glaube sei es, „mit dem Tod zu leben“. Der strenge „Duft des Todes“ werde durch Unmengen von Weihrauchkerzen gebannt.

Die offizielle Trauerfeier um Willy Brandt findet am Samstag statt. Mehr als tausend Gäste werden um 11 Uhr am Staatsakt im Reichstag teilnehmen, die Feier wird auf eine Leinwand nach außen übertragen. Die BerlinerInnen haben anschließend die Möglichkeit, dem Sarg durch das Brandenburger Tor zu folgen. Die Beisetzung auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof erfolgt um 15 Uhr im engsten Familienkreis. aku